Die Sehnsucht der Krähentochter
ich dufte.
Nicht wahr, Bernina?«
»Ja, du duftest
herrlich.«
»Ach, das teure
Wässerchen. So sparsam bin ich damit. Ich habe es von diesen Spaniern geschenkt
bekommen. Es riecht nach Blumen ihres Landes, meinten sie. Das waren edle
Herren. Jedenfalls sage ich mir das. So lustig, wie ihr Akzent sich anhörte.
Und so stolz.«
Bernina fühlte einen
seltsamen Schauer auf ihrem Rücken. Sie konnte nicht anders, sie musste fragen:
»Was für Spanier waren das, Irmtraud?«
»Herren mit
Geheimnissen. Jedenfalls taten sie ziemlich rätselhaft. Sie waren auf dem
Rückweg in ihre Heimat und zogen vor einiger Zeit durch Braquewehr.«
»Hatten sie rote
Umhänge?«
»Nein, ich glaube
nicht.« Irmtraud schien diese Frage zu wundern. »Obwohl … rote Stoffe sind mir
an ihnen aufgefallen.«
»Auch eine Rose? Eine
gestickte Rose?«
Zum ersten Mal wurde
Irmtrauds Blick klarer. »Ich weiß nicht, wie du darauf kommst. Aber ja, es
stimmt: Auf dem Wams eines der Männer war eine große Rose aus goldenen Fäden
gestickt. Ja, und ich glaube, da waren auch rote Umhänge. Ich achtete nicht so
sehr darauf.« Sie kicherte und hustete gleichzeitig. »Gutaussehende Burschen,
das muss ich zugeben. Alle mit schwarzem Haar, alle mit schwarzen Augen. Nun
ja, alle bis auf einen. Auch ein Spanier, aber seine Augen waren von so einem
strahlenden Blau. Du hättest ihn sehen müssen.«
»Ein Spanier mit
schwarzen Haaren und blauen Augen?«, wiederholte Bernina, und in ihr drehte
sich auf einmal alles.
»Ja, er war der netteste
von ihnen. Und leider der Einzige, der mich abblitzen ließ. Du weißt ja, ich
und meine Pechsträhne. Er sagte, er sei verheiratet. Ich liebe meine Frau,
erklärte er mir, und ich fand ihn nur noch hinreißender.«
»Erinnerst du dich, wie
die Männer hießen?« Berninas Stimme war ganz trocken.
»Nur einen Namen weiß
ich noch.« Irmtrauds Blick verlor sich irgendwo in dem schwach erhellten Raum.
So kindlich wirkte sie, trotz des Lebens, das sie führte. »Natürlich den des
Blauäugigen.«
Auf Berninas Lippen war
ein Zittern. »Wie hieß er?«
Ein Kichern. »Sein Name
war Anselmo.«
Bernina starrte sie an.
Sie wollte etwas erwidern, brachte allerdings keinen Ton hervor.
»Ach ja, dieser arme
Kerl. Ich hatte selbstverständlich keine Ahnung, worum es ging, aber dieser Anselmo
war wirklich zu bedauern. Ich denke heute noch ab und zu an ihn und spreche ein
Gebet für ihn.«
Berninas Gedanken jagten
durcheinander. »Armer Kerl?«, fand sie ihre Stimme wieder. »Warum?«
»Sagte ich das nicht?
Anselmo war keineswegs freiwillig bei seinen Landsleuten.« Irmtraud blickte sie
an. »Er war ihr Gefangener.«
»Ihr Gefangener?«
»Ja, seine Hände waren
auf den Rücken gefesselt.« Ein flüchtiges Lächeln in Irmtrauds Gesicht. »Ich
fütterte ihn manchmal und führte den Löffel an seinen Mund. Die anderen gaben
ihm Befehle und hielten ihm eine Pistole oder einen Dolch unter das Kinn. Na
ja, sei’s drum. Sie hätten mich sowieso niemals allein mit ihm gelassen. Und
wenn, hätte es auch nichts genützt. Das mit der Treue war ganz bestimmt nicht
gelogen. Einem wie ihm glaubte man das sofort.«
Gefangener?
Gefangener! Plötzlich
war alles anders. Plötzlich war es, als würde der Erdboden unter Bernina
erweichen, als könne sie darin untergehen wie in einem Meer. Wieder waren ihre
Gedanken ein einziges Durcheinander. Sie dachte an Anselmos kurze Nachricht, an
seine Schwermut, bevor er urplötzlich verschwunden war, sie dachte an vieles
andere, an alles auf einmal.
»Du siehst so komisch
aus, Bernina.« Irmtrauds Stimme holte sie zurück in den Augenblick.
»Es tut mir leid, dass
ich so viele Fragen gestellt habe. Ich wollte nicht, dass du dich anstrengst.«
»Aber es ist doch schön,
mit dir zu sprechen. Es lenkt mich ab von den Schmerzen im Bauch. Stell mir
ruhig weiter Fragen zu den Spaniern. Ich denke gern an sie. Vielleicht sind sie
ja jetzt schon in Valencia.«
»Dort wollten sie hin?
Nach Valencia? Bist du sicher? Das ist doch bestimmt ein unglaublich weiter
Weg.«
»Ja? Gut möglich. Ich
hatte nie zuvor davon gehört, aber diese Stadt muss aufregend sein.«
»Was wollen sie dort?«
»Puuh, das weiß ich
nicht. Hast du jemals von Palmen gehört? Palmen sind so etwas wie Bäume. Nur
irgendwie anders. Sie haben keine Äste.«
»Wie kommst du darauf?«
»Diese Männer haben mir
von einer wunderschönen Villa bei Valencia vorgeschwärmt. Davor stehen
angeblich diese Palmen, diese komischen Bäume, die
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