Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
Vom Netzwerk:
irgendwo aus Neu-Spanien
stammen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo Neu-Spanien liegt. Die Männer
nannten es die Neue Welt. Ach, ich weiß so wenig.«
    »Irmtraud, es ist
wirklich sehr wichtig für mich: Warum war Anselmo ihr Gefangener?«
    »Wie gesagt, sie taten
recht geheimnisvoll und unterhielten sich meistens in ihrer Sprache
miteinander. Über ihre genauen Absichten erfuhr ich nichts. Nur von ihrem
Ziel.« Nach einer Pause fügte sie an: »Verrückt, oder? Alle Welt scheint es
nach Spanien zu ziehen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja, ich habe dir
doch von diesen Soldaten erzählt, die zu keiner Armee gehören und die auf ihren
Anführer warten, um dann nach Westen aufzubrechen. Offenbar werden sie sich
ebenfalls auf den Weg nach Spanien machen. Der Name Valencia fiel auch bei
ihnen. Wie ich hörte, ist in diesem Land ebenso der Teufel los wie im Reich und
hier an der Grenze. Aufstände gegen den König, Revolten gegen irgendwelche
Fürstenhäuser. Die Welt ist überall gleich: Ständig müssen die Menschen sich
bekriegen.«
    »Manchmal kommt es einem
wirklich so vor.« Bernina stand langsam auf. Sie hatte die ganze Zeit an der
Bettstelle gekniet und ihre Beine taten weh. »Aber was ist mit diesen Soldaten,
die sich im Wald verstecken? Du bist sicher, dass sie zu keiner der beiden
Armeen gehören?«
    »Ziemlich sicher. Das
erzählte ich dir ja schon in dem Haus von Schwarzmaul.«
    »In welcher Sprache
verständigen sie sich denn?«
    »In unserer. Aber auch
in allen möglichen anderen Sprachen. Das ist wirklich ein bunter Haufen.«
    »Und sie wollen
ebenfalls nach Spanien?«
    »Ja, ich hatte mich mit
einigen von ihnen recht gut angefreundet. Einer sagte es mir. Auch dass sie
noch auf diesen bestimmten Offizier warten und weitere Leute anwerben wollen.«
Sie überlegte. »Das heißt, sie sind eigentlich schon so gut wie weg. Ich bin
ziemlich sicher, sie wollten morgen in der Frühe unsere Gegend verlassen. Sie
hatten sich in die Wälder verteilt, um dann vom Teufelsfinger aufzubrechen. Das
ist ein einzelner spitzer Granitfelsen östlich der Stadt. Kennst du ihn?«
    »Ja.« Bernina erinnerte
sich, diese auffällige Felsnadel im Wagen von Meister Schwarzmaul passiert zu
haben. »Und sie haben nichts mit den Spaniern zu tun, die durch Braquewehr
kamen?«
    »Nicht dass ich wüsste.
Sie haben anscheinend nur denselben Weg.«
    Ein aberwitziger Gedanke
nahm in Bernina Gestalt an, nur schemenhaft, ohne dass sie ihn zu Ende dachte,
und doch war da das Glimmen einer Idee.
    Mit einem Quietschen
öffnete sich die Tür. Während Bernina kurz zusammenzuckte, schien Irmtraud
nichts von dem Geräusch mitzubekommen. Ihre Lider hatten sich herabgesenkt.
    Außer Atem betrat Pierre
den Raum. In seinen Augen schimmerten noch die Tränen – und eine tiefe
Ratlosigkeit.
    »Hast du den Arzt
gefunden?«, fragte Bernina.
    Er nickte heftig.
    »Hast du dich ihm
irgendwie verständlich machen können?«
    Er hielt den blutigen
Stofffetzen in die Höhe und nickte erneut.
    »Aber er wollte nicht
mit dir kommen.« Diesmal war es keine Frage. »Er hatte Angst.«
    Pierres Gesichtsausdruck
sagte Bernina, dass sie richtig lag. Ihr Blick richtete sich auf Irmtraud,
deren Augen sich wieder öffneten. Lächelnd sah sie zu dem Jungen.
    Abermals ertönten
Schüsse. Das Trommeln vieler Stiefelsohlen. Barsche Befehle und angsterfüllte
Schreie.
    Bernina sprang zur Tür
und machte sie auf, nur einen winzigen Spalt breit. Was sie sah, gefiel ihr gar
nicht. In Gruppen aufgeteilt fielen Soldaten in die Häuser ein. Genauso wie
Irmtraud es geschildert hatte. Aber an der Sprache der gebellten Befehle erkannte
Bernina, dass es sich jetzt um Männer aus ihrer Heimat handelte, um Männer des
Kaisers.
    Doch für die wehrlosen
Menschen von Braquewehr spielte das keine Rolle. Sie wurden ebenso schändlich
behandelt wie schon einmal in dieser Nacht. Die Offiziere gaben vor, auf der
Suche nach flüchtenden französischen Soldaten zu sein. Doch kalt wiesen sie
ihre Untergebenen an, alles aus den Häusern zu schaffen, was einigermaßen
wertvoll war. Eine junge Frau wurde von zwei Kerlen in einen Hinterhof gezerrt.
Ihre Schreie gellten durch die Nacht.
    Wie erstarrt sah Bernina
in das Dunkel des Hinterhofs, und einen Moment lang fühlte sie den Drang
loszulaufen und der armen Frau beizustehen. Doch dann fiel ihr Blick auf drei
Soldaten, die entschlossen auf ihre Tür zumarschierten.
    »Aufmachen!«, rief einer
von ihnen. »Sofort aufmachen!«
    Unwillkürlich

Weitere Kostenlose Bücher