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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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dachte Bernina. Der Gedanke an den nächsten Morgen gefiel ihr ganz
und gar nicht. Worauf hast du dich da bloß eingelassen?, fragte sie sich
erneut.
    An
diesem Abend ging es beim Essen lauter, ausgelassener zu. Das seltsame
Schweigen, das die Männer beherrscht hatte, schien sich zu verlieren. Zwar
wussten sie immer noch nicht, was sie erwartete, doch offensichtlich lag es an
Nils Norbys Auftauchen, dass man nun eher den lärmenden, schwatzenden
Kampfeinheiten glich, die Bernina aus der Vergangenheit kannte. Wenn Norby
durch die Reihen schlenderte, ruhten viele Blicke auf ihm; mit einer
Bewunderung, die nicht zu übersehen war. Allein Bernina senkte bei seinem
Erscheinen die Augen.
    Am
nächsten Morgen neuerliche Kampfübungen. Nachdem der Feldwebel die Männer
eingewiesen hatte, beschäftigte er sich allein mit Bernina. Ein wenig abseits
der übrigen wiederholte sie unzählige Male die Bewegungen, die er vorführte.
Mittags erfolgte der Aufbruch. Obwohl Meissner gern noch weiter exerziert
hätte, deutete er doch an, dass die Zeit drängte und man sich schon in
Braquewehr recht lange aufgehalten habe.
    Auch
an diesem Tag herrschte strahlender Sonnenschein. Die Kolonne schlängelte sich
durch felsige Täler und dunkle Wälder. Hatte Bernina anfangs noch das Reiten zu
schaffen gemacht und die Innenseiten ihrer Oberschenkel wund gerieben, kam sie
mittlerweile gut damit zurecht. Erst am Nachmittag, während den Pferden Ruhe
gegönnt wurde, gab es wieder Übungen mit Degen und Muskete. Für Bernina nur mit
dem Degen.
    So
stahl sich ein Tag nach dem anderen an ihnen vorbei. Das Gelände wurde
hügeliger. Schließlich ragte vor ihnen ein Gebirge auf, wie eine riesige Wand,
auf das sie unter der Führung Nils Norbys unverdrossen zuhielten. Noch war es
warm, deutlich wärmer als zuletzt in Braquewehr. Langsamer kamen sie nun voran,
eine lange Einzelreihe von wieder schweigsamen Männern, die von Zeit zu Zeit
absteigen mussten, um die Pferde am Zügel zu führen. Steil und steinig, immer
weiter nach oben, wo sie von scharf gezackten grauen Felsen und frischen,
schnell über sie hinfort zischenden Windböen erwartet wurden.
    Irgendwann
mussten die drei Wagen zurückgelassen werden. Einen Teil ihrer Ladung gab man
einfach auf, der Rest wurde auf die Rücken der Zugpferde verteilt, die
aneinandergebunden in der Mitte der Kolonne weiterhin mitgeführt wurden.
    Selbst während des
Anstiegs verzichtete Feldwebel Meissner nicht, wenigstens kurze Übungen
durchzuführen. In der kommenden Nacht wurde zweimal kurz gerastet, ansonsten
kämpfte sich der Trupp weiter und weiter. Auch am Tag darauf – nur vereinzelte
Pausen. Dann erreichten die Männer ein Felsplateau, das die Sicht auf das
Gebiet eröffnete, das sie hinter sich gelassen hatten. Das Elsass war bereits
ein ganzes Stück entfernt, wie Bernina erst jetzt so richtig bewusst wurde.
    Gerade auf dem Plateau
wehte der Wind besonders heftig, aber angesichts der völlig ermüdeten Pferde
entschied sich Nils Norby dafür, hier die nächste Nacht zu verbringen. Im etwas
unterhalb gelegenen Wald beschaffte man sich Feuerholz. Ein gleichzeitig
durchgeführter Jagdabstecher blieb erfolglos. Spätestens hier zeigte sich, wie
mühsam es war, sich selbst versorgen zu müssen und nicht wie reguläre Armeen
auf Nachschub zurückgreifen zu können. Dennoch gab es keinen Rückfall in die
düstere Stimmung, die den Aufbruch in Braquewehr begleitet hatte.
    Die Absätze ihrer Stiefel
tönten hart auf dem felsigen Grund, als sich Feldwebel Meissner und Bernina am
Rand des Lagers trafen und mit den Degenspitzen in die kühler gewordene Luft
stachen. Mittlerweile vollführten sie nicht mehr synchron bestimmte Schritte,
sondern begegneten sich frontal mit gekreuzten Klingen, wobei Meissner noch
ankündigte, wie er angreifen würde, um dann Berninas Verteidigung überprüfen zu
können.
    Sie hatte längst
gemerkt, dass der Feldwebel mehr von ihr forderte und sich schneller und
unberechenbarer bewegte. Anstrengend war es, viel anstrengender als noch zu
Beginn. Als Meissner das Zeichen für eine Pause gab, atmete Bernina tief durch.
Sie ließen sich auf einem Felsblock nieder, und plötzlich nahm Bernina den
merkwürdigen Ausdruck wahr, mit der er sie bedachte. Er zupfte seinen weißen
Schnurrbart und grinste sie dabei offen, fast herausfordernd an.
    Einen
schwindelerregenden Moment befürchtete sie, er hätte ihre Maskerade
durchschaut.
    »Was ist mit deiner
Stimme, Soldat?«, fragte er aber nur.

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