Die Sehnsucht der Krähentochter
rasch vorgetragenen Sätzen
Eindruck zu wecken, das war nicht zu überhören. Die Männer schienen bereits
jetzt viel von ihm zu halten – das, was sie mit seinem Namen verbanden, war
offenbar mit seiner Erscheinung bestätigt worden.
Noch während das Essen
eingenommen wurde, verkündete Feldwebel Meissner, dass die gesamte Truppe
länger an diesem Lagerplatz bleiben würde. »Hauptmann Norby möchte sich ein
genaueres Bild von eurer Leistungsstärke machen. Anscheinend ist er von eurem
Erscheinungsbild nicht gerade beeindruckt. Er meint«, der Feldwebel ließ seine
Stimme zischen, »viele von euch haben noch einiges zu lernen. Und er wird nach
und nach jeden von euch begutachten.«
Die letzte Ankündigung
traf Bernina bis ins Mark. Bis jetzt war sie mit ihrer Maskerade durchgekommen,
doch das Auftauchen Norbys hatte alles verändert. Während sie wortlos weiteraß,
dachte sie an ihren gemeinsamen Ritt bis an den Stadtrand von Ippenheim. An die
Situation beim Teich, an ihre Gespräche mit diesem Mann, der als Henker und
Wolfsjäger nach Teichdorf gekommen war. Trotz ihrer Nähe war Norby ein Rätsel
für sie geblieben. Doch oft hatten sich ihre Blicke in diesen schnell
vorübergezogenen dramatischen Tagen getroffen. Und sie erinnerte sich an jenen
Moment, als seine Hand sie gestreichelt und mit erstaunlicher Sanftheit aus
einem bösen Traum gelöst hatte. Ein Moment verwirrender Vertrautheit zwischen
ihnen.
Nach dem Essen sortierte
Meissner die jüngsten und augenscheinlich unerfahrenen Soldaten des bunten
Haufens aus. Bei Bernina benötigte er keinen Wimpernschlag, um sie auszuwählen.
In knappen Worten kündigte er an, dass in den beiden folgenden Tagen Übungen
anstehen würden, die auch aus den Grünschnäbeln halbwegs passable Soldaten
machen sollten.
Bernina fühlte sich
äußerst unwohl in ihrer Haut. Die fremde Kleidung, der Degen, das große
Halstuch, das vorgeblich als Verband einer Verletzung diente: Alles drückte
sie. Der schwere, zu große Hut, die Stiefel. Am schlimmsten war es für sie, das
eigene Haar nicht mehr zu spüren. Seit sie zurückdenken konnte, schmiegte es
sich erstmals nicht in sanften Wellen um ihre Schultern. Der angeklebte Bart
reizte ihr Gesicht. Und die kurzen, irgendwie seltsam von ihrem Kopf abstehenden
und gleichzeitig vom Filz des Hutes niedergedrückten Haarbüschel juckten auf
ihrer Kopfhaut. Oder kam dieses Jucken von dem Bewusstsein, auf welch
irrwitzige, vage, aussichtslose Idee sie sich eingelassen hatte? Am liebsten
hätte sie sich unsichtbar gemacht inmitten all dieser Fremden.
Zum ersten Mal wurde ihr
wirklich bewusst, was sie getan hatte – zum ersten Mal fragte sie sich, was
passieren würde, wenn ihre Verkleidung plötzlich entlarvt würde. Hier, im
Nichts dieser unwirtlichen, offenbar kaum bewohnten Gegend? So unbegreiflich es
ihr auch vorkam: Bis jetzt hatte sie keinen einzigen Gedanken daran
verschwendet. Dazu hatte sie das, was sie von Irmtraud erfahren hatte, mit zu
großer Macht beherrscht. Der Augenblick war da gewesen, und Bernina hatte nur auf
ihr Gespür, nur auf einen Impuls vertraut. Und alles auf eine Karte gesetzt.
Unauffällig ließ sie
ihren Blick über die Soldaten wandern. Was hast du bloß getan?, fragte sie
sich.
Und da war noch ein
anderes Dilemma, in dem sie sich befand. Die vorgespielte Verletzung
verhinderte zwar, dass sie, abgesehen von einem Ja oder Nein, allzu viel
sprechen musste. Dafür konnte sie allerdings auch nicht die Fragen stellen, die
sie so sehr plagten. Fragen nach den Zielen dieser rätselhaften Truppe. Sicher,
Irmtraud, hatte erwähnt, dass die Männer nach Spanien ziehen würden. Sogar der
Name der Stadt Valencia war gefallen, genau wie bei Irmtrauds Bericht über die
Fremden, die Anselmo angeblich gefangen genommen hatten. Aber mit welcher
Absicht war diese merkwürdige Truppe überhaupt gebildet worden? Welches Ziel
verfolgten die Soldaten? Sie schienen es ja selbst nicht zu kennen, wie der
Wortwechsel zwischen Feldwebel Meissner und dem Bärtigen gezeigt hatte.
Doch selbst wenn Bernina
sich dazu durchringen konnte, Fragen zu stellen: Wen hätte sie fragen sollen?
Sie hatte ja schon genug damit zu tun, ihre Tarnung aufrecht zu erhalten. Also
galt es zunächst einmal, weiterhin aufmerksam zu bleiben, Gesprächsfetzen
aufzufangen und Andeutungen richtig zu verstehen. Und nach wie vor von der
weniger werdenden Klebepaste auf die Oberlippe zu schmieren, um den kuriosen
Schnurrbart nicht zu verlieren.
Feldwebel
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