Die Sehnsucht der Krähentochter
»Immer noch nicht besser?«
Wachsam starrte sie ihn
an. Sie entschloss sich zu einem gekrächzten Räuspern und schüttelte den Kopf.
»Vielleicht
sollte ich mir die Verletzung mal ansehen?«
Rasch ein erneutes
Kopfschütteln Berninas. Dann zwang sie sich doch zu einer leisen Antwort:
»Besten Dank, nicht nötig. Es wird schon.« Sie achtete darauf, dass ihre Stimme
ähnlich verhalten und rau klang wie bei der ersten Begegnung mit dem Feldwebel
im Wald von Braquewehr.
»Schon
komisch«, erwiderte Meissner. »Dass sich das einfach nicht bessern will.«
Wieder sein kurzes Grinsen. »Na ja, aber das gilt ja nicht für alles bei dir,
nicht wahr?«
Unwillkürlich wurde sie
noch wachsamer. »Wie meinen Sie das?«
»Wie ich das meine?« Er
lachte auf. »Das fragst du allen Ernstes, nachdem ich für dich so viel Zeit
opfere? Soldat, du enttäuschst mich.«
»Es tut mir leid, dass
ich kein besserer Fechter bin.«
Diesmal lachte er nicht
nur, er schlug sich sogar auf die Schenkel. »Kein besserer Fechter? Oh, Junge,
ich frage dich noch mal: Was glaubst du, warum ich so viel Zeit mit dir und
deinem Degen verbringe?«
Ein
Verdacht glimmte in Bernina auf – ein wahrlich überraschender Verdacht. »Sie
meinen also …«, begann sie und hätte dabei fast das Krächzen in ihrer Stimme
verloren.
»Genau das meine ich.«
Ihr verwunderter Blick
amüsierte ihn noch mehr, und nun wurde ihr klar, weshalb er immer wieder die
Gelegenheit nutzte, allein mit ihr zu üben. Nicht weil sie schwächer als die
übrigen war – sondern besser.
»Jetzt aber genug
gequatscht.« Meissner erhob sich flink. »Sonst werden unsere Knochen noch
morsch.«
Einander gegenüber
stellten sie sich auf.
»Da fällt mir ein,
Junge, wie heißt du eigentlich?«
Verdutzt
sah Bernina auf. Daran hatte sie noch keinen einzigen Gedanken verschwendet.
Sie biss sich auf die Lippe.
»Du wirst doch deinen
verdammten Namen wissen.«
»Falk«, rutschte es aus
ihrem Mund heraus. »Ich heiße Falk.« Die Familie, der sie entstammte, die
Falkenbergs, hatte schon so manchen Soldaten hervorgebracht, aber gewiss noch
keinen mit angeklebtem Bart. Ein leichtes Lächeln huschte über ihre Lippen.
»Dann mal los, Falk.«
Meissner hob seinen Degen.
Das unausgesprochene Lob
des altgedienten Feldwebels tat Bernina auf verrückte Weise gut. Und das
Absurde ihrer Situation war nicht mehr ganz so bedrückend. Sie schwang den
Degen fast schon mit dem gleichen Eifer, den sie vor Kurzem noch in Meister
Anton Schwarzmauls Werkstatt an den Tag gelegt hatte. Wenn man in der Luft
hing, brachte es ein wenig Erleichterung, sich an etwas festhalten zu können.
Und bei Bernina war das offensichtlich der Degen.
Sie lernte Finten und
Angriffe, sie federte in den Knien, sie entwickelte noch mehr Geschmeidigkeit,
eine ganz eigene Geschmeidigkeit, die jeder ihrer Bewegungen etwas Fließendes
gab. Und dabei war sie auch noch unheimlich schnell. Meissners Worte hatten ihr
nicht nur Zuspruch gegeben, sondern ihr vor allem bewusst gemacht, wie sehr sie
sich innerhalb kurzer Zeit verbessert hatte.
»Niemals auf die Waffe
des Gegenübers achten«, schärfte Feldwebel Meissner ihr ein. »Sondern nur auf
seine Augen. Die Augen verraten dir seine Absicht, bevor es die Bewegung tut.«
Immerzu wiederholte er das.
Häufig erinnerte sich
Bernina beim Fechten an die Tage, als sie mit Anselmo und den anderen Gauklern
durch die Lande gezogen war und Seiltanz geübt hatte. An die faszinierten
Blicke der Leute in den Dörfern bei den Vorführungen. Damals wie auch jetzt war
Balance gefragt, und während sie Meissners Angriffen geschickt auswich, stellte
sie sich ein Seil vor, über das sie mit leichtem Schritt, nur auf den
Zehenspitzen hinwegglitt, auf dem sie regelrecht tänzelte. Es war, als würde
sie die Erde gar nicht mehr berühren.
Während sich die Truppe
höher und höher in das Gebirge wand, sich über Pässe schob und dem inzwischen
hin und wieder fallenden Regen trotzte, gewann Bernina eine immer höhere
Sicherheit mit der Fechtwaffe.
»Selten habe ich
jemanden gesehen, der sich beim Duell mit so erstaunlicher Gewandtheit bewegt
wie du, Falk«, äußerte sich der Feldwebel einmal während ihrer gemeinsamen
Übungen. »Gegen dich wirken diese anderen Grünschnäbel wie Holzböcke.« Mit
Komplimenten hielt er sich längst nicht mehr zurück. Es verwirrte Bernina noch
immer, wenn er sie mit diesem Namen ansprach. Aber die entstandene Vertrautheit
zwischen ihnen hatte sie dazu veranlasst, nun
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