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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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sich breitmachte. »Allerdings mit Rosen aus purem Gold. Doch
jetzt noch ein wenig Geduld. Lasst mich erst einmal richtig ankommen. Ach ja,
eine Sache noch: Wir sollten schleunigst damit anfangen, unsere Aufgaben als
Wache ernst zu nehmen. Ich habe mich noch nie so mühelos in ein Lager voller
Soldaten schleichen können wie heute.« In seinem grünen Auge blitzte es.
    Wer ist das? Die Frage
wurde flüsternd weitergegeben wie zuvor noch die Weinschläuche – ohne dass
einer eine Antwort darauf gehabt hätte.
    Bernina stand nach wie
vor von niemandem beachtet bei ihrem Pferd. Sie wusste, um wen es sich bei
diesem groß gewachsenen Mann handelte. Auch wenn sie es immer noch nicht
glauben konnte, dass er es tatsächlich war. Zuletzt hatte sie ihn gesehen, als
ihn eine spanische Degenklinge erfasste.
    »Ihr seid neugierig, mit
wem ihr es zu tun habt?«, wandte sich jetzt wieder Feldwebel Meissner an die
weiterhin verdutzten Männer. »Darf ich vorstellen? Das ist unser Hauptmann. Das
ist Nils Norby.«
    Das Gemurmel erstarb.
Ein Moment knisternder Stille.
    Wiederum mit leicht
spöttischem Gesichtsausdruck verneigte sich der große Mann, und unter seinem
Hut wallten die blonden Haare mit der einzelnen grauen Strähne darin.
    »Wie ich sehe«, fuhr der
Feldwebel fort, »ist euch sein Name ein Begriff.« Er trat zu dem Schweden und
schüttelte ihm die Hand. »Und ich kann euch eines sagen: Was immer ihr über ihn
gehört habt – es war noch reichlich untertrieben.«
    Mit
den letzten Worten löste sich die Spannung. Einige der Soldaten lachten, ein
paar ließen sogar Hochrufe ertönen.
    Bernina
war überrascht, welche Wirkung der Name Nils Norby auszulösen vermochte. Er war
offenbar bekannter, als er ihr bei der Flucht aus Teichdorf zu verstehen
gegeben hatte. Sie betrachtete ihn, wie er sich jetzt davonmachte, um offenbar
sein Pferd zu holen. Er trat mit festem Schritt auf – so schwer seine
Verletzung auch gewesen sein mochte, an diesem frühen Abend in dem versteckten
Tal war zumindest äußerlich nichts mehr davon festzustellen. Neu an ihm war
allein die Augenklappe.
    Wie
vorhin ging Norby zwischen den Pferden hindurch. Ohne zu Berninas schmaler
Gestalt herüberzublicken, rief er ihr zu: »Was ist los, Soldat? Bist du da
festgefroren?«
    Sie biss sich auf die
Unterlippe und merkte, wie sie sich unwillkürlich noch tiefer in den Wams zu
vergraben versuchte. Im nächsten Moment war der Schwede bereits verschwunden.
    Noch bevor die Jäger
zurück waren, brach die Nacht an, ein schlagartiger Überfall von Dunkelheit, in
die grell die Feuer stachen. Nach dem Abendessen wurde Ruhe befohlen, und schon
mit dem ersten Morgengrauen rief man zum Wecken. Nils Norby ritt auf einem
prächtigen schwarzen Hengst mit strahlend weißer Blesse ins Lager, gefolgt von
drei Planwagen. Auf den Böcken saßen Soldaten, die angesichts ihrer grimmigen
Ausstrahlung bestens zu den anderen passten. In den Wagen befanden sich, wie
sich sofort herumsprach, ein Nachschub an Proviant und Schießpulver sowie
weitere Waffen.
    Ehe es Frühstück gab,
erfolgte eine kurze Ansprache Nils Norbys, der die Männer in Dreierreihen
antreten ließ.
    »Als ich vor 15 Jahren
der schwedischen Flotte König Gustav Adolfs angehörte, standen Disziplin und
Kameradschaft über allem.« Seine Stimme beherrschte den Lagerplatz, seine
Blicke stachen. »Auf meinen Nebenmann konnte ich mich so felsenfest verlassen,
wie er sich auf mich verlassen konnte. Für Fluchen wurde Kielholen verhängt.
Beim kleinsten Diebstahl wurde ein Ohr abgeschnitten. Wenn einer mit dem Messer
drohte, wurde ihm eben dieses Messer durch die Hand gerammt.«
    Er ließ die Worte
wirken, bevor er fortfuhr. »Die Flotte Gustav Adolfs war die am besten
organisierte der Welt. Stolz war ich, ein Teil davon zu sein: meine Einheit zu
beleidigen, hieß mich zu beleidigen. Ich kam von der Flotte zum Heer, und dort
war es genauso. Ich war ein Offizier des Königs. Vergesst das nicht. Ich werde
von keinem von euch etwas verlangen, das ich nicht auch von mir selbst
verlange. Aber denkt immer daran: Ich war ein Offizier von König Gustav II.
Adolf von Schweden.« Lässig verschränkte er die Arme vor der Brust. »Alles
andere, was zu sagen ist, werdet ihr zu gegebener Zeit erfahren.«
    Beim anschließenden
Frühstück wurde der Auftritt des neuen Anführers ausgiebig besprochen. Bernina
saß am Rande einer Gruppe Soldaten, stumm wie immer, und lauschte den
Gesprächen. Nils Norby war es gelungen, mit ein paar

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