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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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reichte die anderen weiter.
    »Ihr seht die goldenen
Blumen darauf«, fuhr Norby fort und wies auf die gestickte goldene Rose an
jeder Kragenecke der Kleidungsstücke. »Das ist die Rose von Alvarado. Und sie
bedeutet für euch pures Gold. Münzen, schwer wie eure Muskete, mit der
geprägten Rose von Alvarado darauf.«
    Es war nur ein Umhang,
nichts weiter. Und doch war die Wirkung, die er auf die Männer ausübte, nicht
zu übersehen. Jeder warf sich den Stoff sofort über die Schultern. In den
Stimmen war kein Murren mehr, plötzlich wurden sogar wieder Scherze gemacht.
Die Soldaten schlugen sich gegenseitig auf die Schultern und lachten.
    Nur Berninas Mund war
ein schmaler zusammengepresster Strich. Sie starrte auf den roten Stoff, der
ihr in die Hand gedrückt worden war. Die gestickte Rose schimmerte ihr golden
entgegen, und die Schrecken, die sie in Teichdorf durchlebt hatte, waren wieder
bei ihr, krochen unter ihre Haut, ließen sie in Kälte erstarren. Die Männer um
sie herum jubelten Nils Norby zu, doch Bernina hörte die Rufe ebenso wenig wie
den Lärm des Unwetters. Stumm blickte sie auf die Rose von Alvarado.

Kapitel
5 Die Rose und die Wölfin
     
    Das Land erstreckte sich in behäbiger Weite vor ihnen. Schon seit
Tagen kamen die Soldaten gut voran. Nachdem das Gebirge erst einmal bezwungen
worden war, fiel alles leichter. Auch wenn es darum ging, Nahrung zu
beschaffen. Je weiter sie nach Süden vordrangen, desto stärker und vielfältiger
breitete sich Vegetation aus. Zu den ausgedehnten Getreidefeldern kamen
Olivenhaine und sogar spärliche Weinkulturen, die allerdings kaum üppige
Erträge einzubringen schienen. Die Männer passierten Flüsse, deren Wasser
abgeleitet wurde, um so die Felder ergiebiger zu machen. Immer mehr Felder.
Bohnen, Möhren, spanischer Pfeffer, Artischocken, Zwiebeln, Knoblauch. Zum
ersten Mal hielten die Männer voller Erstaunen Melonen in ihren Händen, und
neugierig kosteten sie deren süßes Fleisch. Doch weiterhin kam es darauf an,
nicht aufzufallen. Noch immer umritten sie Ansiedlungen, die Armee der Unsichtbaren
wollte unsichtbar bleiben. Gerade weil sie nicht mehr ganz so menschenleere
Gebiete durchqueren mussten. Das Grün dieses fremden Landes blendete beinahe.
Keine Berge mehr, kein Staub, keine grauen Wolken, nur noch grüne Wiesen und
Felder, grüne Sträucher und Bäume, so weit das Auge reichte.
    Kilometer um Kilometer,
Stunde um Stunde. Die Wärme hatte die schlechte Stimmung vertrieben, die sich
mit den Unwettern und Gefahren der Berge eingenistet hatte. Dazu hatten auch
die roten Umhänge beigetragen, die der Mission etwas Greifbares verliehen – und
vor allem die ersten beiden Goldmünzen, die Nils Norby zur Überraschung der
Männer jedem einzelnen übergab, als sie mit dem Abstieg begannen. Die Rose von
Alvarado, geprägt in pures Gold.
    Die Farbenpracht der Natur
verblasste, wich einem staubigen Gelb. Der Sonnenschein blieb. Das Land, in dem
fast immer Sommer war. Und tatsächlich, hier war es selbst im Herbst wärmer als
in Teichdorf an Julitagen. Durch unübersichtliche Waldstücke gelangten sie an
einen weiteren Fluss. An den Ufern breiteten Frauen ihre Wäsche zum Bleichen
aus. Goldfarbene Wasserblumen trieben auf dem trägen Nass – blitzende Punkte,
die an die Münzen mit der Rose erinnerten. Die Frauen erblickten die Fremden
und ergriffen unverzüglich die Flucht. Es würde kaum noch möglich sein,
unentdeckt zu bleiben. Im Spiegel des Wassers sahen die Männer in ihre eigenen
Gesichter, die die zurückliegenden Anstrengungen offenbarten. Frisch und neu
waren allein noch die Umhänge. Selbst Meissner trug einen davon. Und auch um
Berninas Körper wellte sich der blutrote Stoff, der in ihrer Heimat Todesängste
ausgelöst hatte. Einzig Hauptmann Nils Norby verzichtete auf das
Kleidungsstück.
    In einer Talsenke,
versteckt von den Resten der zuvor noch großen Laubwälder aus Birke,
Zitterpappel und Rotbuche, errichteten sie zum ersten Mal seit dem letzten
Anstieg ein Lager, das nicht nur provisorisch war. Hier würde man sich also
etwas länger aufhalten. Das Tal bot Schutz – die Truppe war trotz der ansonsten
flachen, nicht mehr stark bewaldeten Landschaft nur schwer zu entdecken.
    »Wir
sind unserem Ziel näher gekommen. Sogar sehr nahe.« Nils Norby erhob seine
Stimme kaum, als sich die Männer um ihn herum gruppierten. Aber jeder Einzelne
konnte ihn gut hören.
    »Ich
werde morgen früh aufbrechen«, fuhr er fort, »um unseren Auftraggeber

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