Die Sehnsucht der Krähentochter
zu
treffen. Ihr haltet euch unter dem Kommando von Feldwebel Meissner hier im
Verborgenen. Einer von euch allerdings begleitet mich. Zu meiner Unterstützung
und – falls es nötig ist – als Meldereiter. Es könnte sein, dass er euch den
Befehl zum Aufbruch allein überbringen wird.« Norbys Blick flog über die Männer
hinweg, und Bernina ahnte, worauf die Ansprache hinauslaufen würde.
Einige
Soldaten drängten auf ihn zu. Freiwillige.
»Dieser Mann wird
äußerst schnell sein müssen«, erklärte der Schwede. »Pfeilschnell. Was ich
brauche, ist ein guter Reiter. Am besten ein Leichtgewicht.«
Bernina fuhr sich mit
der Zungenspitze über die Lippen. Die Sonne blendete sie. Den Hauptmann konnte
sie nur als großen, breiten Schatten sehen.
Und erneut seine Stimme:
»Falk!«
Sie blinzelte gegen das
grelle Tageslicht und nahm die grünen Augen wahr, deren stechende Blicke auf
ihr lagen. Schon seit über einer Woche trug Norby nicht mehr die Klappe.
»Bei Sonnenaufgang
reiten wir beide los, Falk«, fügte er an, ohne auf die Enttäuschung der anderen
zu achten, die sich für die Aufgabe angeboten hatten.
Während des Abendessens
nahm Bernina die Spannung deutlich wahr, die sich ihrer bemächtigt hatte. Wir
sind unserem Ziel näher gekommen, hallten Norbys Worte in ihrem Kopf wider. Den
Männern erging es nicht anders, wie der Unterton verriet, der Unterhaltungen
und Scherze begleitete. Es stand bevor: Dieses große unbekannte Ziel war in
greifbare Nähe gerückt.
Nach einer Nacht ohne
Schlaf fand sich Bernina mit dem ersten Sonnenstrahl vor dem Zelt des
Hauptmannes ein, der sie bereits erwartete. Während sie aufsaßen und losritten,
sprachen sie kein Wort miteinander. Auch später, als die Talsenke hinter ihnen
lag, herrschte Schweigen. Doch die Vertrautheit zwischen ihnen, entstanden bei
einer halsbrecherischen Flucht weit entfernt von hier, die war noch immer
gegenwärtig, ganz stark fühlte Bernina sie.
Dicht nebeneinander
lenkten sie die Pferde, zumeist im Schritt, selten in leichtem Trab, verfolgt von
einem Wind, der Wärme um sie fließen ließ. Erst nach langer Zeit zerschnitt
Bernina diese eigentümliche Ruhe mit zwei kurzen Wörtern: »Warum ich?«
Sie spürte den
seitlichen Blick, der sie streifte. »Ich wollte dich von den anderen trennen.
Auf dem weiten Weg hierher konnte ich dich stets im Auge behalten. Wäre
herausgekommen, dass du in Wirklichkeit eine schöne Frau bist, hätten dir
einige der Kerle unbedingt zeigen wollen, wie männlich sie sind. Dann hätte ich
einschreiten können.«
»Der Meldereiter, das
war also bloß ein Vorwand.«
»Das war es.«
»Wohin reiten wir
gerade?«
Er entgegnete nichts.
»Nach Valencia?«
»Bevor wir in die Berge
aufbrachen, hatten wir uns darauf geeinigt, alles so zu lassen, wie es ist.
Dass du als Falk weiterhin die Truppe begleiten würdest.«
»Daran musst du mich
nicht erinnern. Weshalb antwortest du nicht auf meine Frage?«
Zum ersten Mal seit dem
Morgengrauen tauschten sie einen längeren Blick aus.
»Du hast mir noch nicht
gesagt«, meinte Norby, »wie du deinen Mann finden willst. Ich weiß nur, dass du
nach Valencia möchtest.«
»Ja.« Bernina nickte vor
sich hin, als müsse sie sich alles erst einmal selbst bewusst machen. »Ich will
nach Valencia. Das ist mein einziger Anhaltspunkt. Nicht allein, was den
Verbleib meines Mannes betrifft. Es ist der einzige Anhaltspunkt für mich und
mein Leben. Nachdem mir mein altes Leben einfach entrissen wurde.«
»Du hattest Glück,
damals in Teichdorf überhaupt mit heiler Haut davongekommen zu sein.«
»Das ist mir durchaus
bewusst«, erwiderte Bernina nicht ohne Schärfe.
»Denkst du nicht auch
ständig an das, was dort geschah? An diesen Pfarrer und die Männer, mit denen
er paktierte?«
»Oft denke ich so sehr
daran, dass mein Kopf schmerzt.« Ihre Stimme war auf einmal leiser. »Dann muss
ich mich irgendwann geradezu zwingen, nicht darüber zu brüten.«
»Das kann ich mir gut
vorstellen.«
»Kannst du das?« Bittere
Ironie begleitete ihre Worte. »Immerhin reitest du inzwischen selbst für die
Goldene Rose. Obwohl du gesehen hast, was unter diesem Zeichen in Teichdorf
geschah.«
»Mit den Kerlen in
deinem Heimatort habe ich nichts zu tun«, entgegnete er kühl. »Ich traf ein
Abkommen mit einem anderen Mann. Der mag zwar auch kein Unschuldslamm sein,
aber auf mich wirkt er vertrauenswürdig. Bisher zumindest.«
Bernina erinnerte sich
genau an das, was Feldwebel Meissner über Norby
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