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Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)

Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)

Titel: Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feehan
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haben. Aber jetzt macht es mich fast neidisch, wenn ich dich mit deinem Bruder und deiner Schwester sehe und deine Liebe zu ihnen spüre.«
    Joies Herz verkrampfte sich angesichts der Sehnsucht, die in seiner Stimme lag. Sie hätte nie gedacht, dass sie einmal so intensiv für einen Mann empfinden könnte. Allein der Ton, den er jeweils benutzte, konnte sie zum Erschauern bringen wie eine Liebkosung seiner Finger oder sich um ihr Herz legen wie eine Faust.
    »Hattest du Geschwister? Und standet ihr euch nahe?«
    Er rieb das Kinn an ihrem Scheitel, um ihr seidiges Haar an seiner Haut zu spüren. »Ja, ich hatte eine Schwester, Elisabeta. Sie war sehr viel jünger als ich. Karpatianische Kinder werden in der Regel mit fünfzig bis hundert Jahren Abstand zwischen ihnen geboren, doch das gilt natürlich nicht für alle. Sie war noch sehr jung, als ich aus den Karpaten fortgeschickt wurde. Ich habe mich überall nach ihr umgehört, doch niemand scheint zu wissen, was aus ihr geworden ist. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie barfuß und mit wehendem Haar über die Felder lief und es so schien, als drehten sich alle Pflanzen nach ihr um, um sie vorbeilaufen zu sehen. Unsere Gärten wurden verrückt, nachdem sie geboren war. Sie war eine freiheitsliebende Seele.« Er schloss die Augen und schwelgte in Erinnerungen an ein kleines Mädchen, das kaum älter als sechs Sommer war und sein Herz zum Singen brachte, obwohl er eigentlich gar nichts hätte spüren dürfen. Er war länger daheim geblieben, als es gut für einen Krieger war, und hatte sich in der Gegenwart des Kindes gesonnt.
    »Die meisten der alten Krieger, die ihre Emotionen schon verloren hatten und zu lange gekämpft und zu oft getötet hatten, zog es zu uns nach Hause, um in Elisabetas Nähe sein zu können. Sie konnte längst verlorene Emotionen wiedererwecken und war ein richtiges kleines Wunder.«
    Er schüttelte den Kopf und richtete blinzelnd den Blick auf Joies Gesicht. »Ich habe seit Jahrhunderten nicht mehr an sie gedacht. Viel zu lange nicht mehr. Ich hatte mich schon damit abgefunden, dass sie für unser Volk verloren war.«
    »Und für dich«, sagte Joie leise. »Das tut mir furchtbar leid, Traian. Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich meinen Bruder und meine Schwester verlöre. Ich kann es mir nicht einmal vorstellen.«
    »Es ist viele Jahre her, Joie … obwohl ich, wenn ich ehrlich sein will, zugeben muss, dass ich meine Emotionen damals schon verloren hatte und der Kummer deshalb leichter zu ertragen war. Allerdings erwacht er jetzt erneut mit den Erinnerungen, nachdem meine Seelengefährtin mir die Möglichkeit gegeben hat, wieder etwas zu empfinden.«
    »Das alles ist für mich schwer zu verstehen«, gab Joie zu. »Ich habe noch nie den Wunsch gehabt, mich voll und ganz auf jemanden einzulassen«, gestand sie und blickte zu ihm auf. »Niemand sollte alles von mir haben oder gar in mich hineinsehen können. Aber du tust das ja schon, nicht?« Sie suchte seinen Blick. »Du siehst mich, wie mich noch niemand sonst gesehen hat.«
    »Ja.« Traian hielt sie fest umfangen, als er sich mit ihr in die Luft erhob.
    Der Nachthimmel, über den sie schwebten, war so dunkel, dass er fast schon etwas Violettes hatte. Tausende von Sternen glitzerten über ihnen, und die wenigen verbliebenen Sturmwolken türmten sich nicht mehr am Himmel, sondern zogen nur noch ruhig dahin. Tief unter ihnen erstreckten sich Berge und Täler, Wälder und Seen, die Geheimnisse bargen, die besser für alle Zeit verborgen blieben. Die Szenerie unter ihnen war eine Mischung aus Alter und Neuer Welt.
    Joie konnte vereinzelte Bauernhöfe sehen mit mächtigen Heuhaufen und Gärten, die ums Überleben rangen. An den Berghängen wimmelte es von Schafen, Ziegen und auch Rindern, die das karge Gras dort fraßen. Schäferhütten standen hier und da an höher gelegenen Stellen, und mehr als einmal sah Joie streunende Hunde, die auf der Suche nach Futter an den staubigen Straßen entlangliefen.
    Die Ruinen einer Burg und eines Klosters, aber auch zahlreiche Kirchen kamen nach und nach in Sicht. Die ländliche Umgebung war reizvoll und interessant. Die Pferdekarren, die Joie sah, waren in vielen Fällen nichts anderes als mit Geländern und Autoreifen versehene Pritschenwagen. Joie war ebenso überwältigt von der Schönheit dieser Landschaft wie von der Schlichtheit ihrer Dörfer.
    Es gefällt mir hier sehr gut , bemerkte sie. Du hast Glück gehabt, in einer solch schönen Umgebung

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