Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)
begann Traian, die Temperatur um den Mann herum zu erhöhen. »Im Allgemeinen steckt immer ein Körnchen Wahrheit in vielen der Legenden, aber meistens habe ich herausgefunden, dass es einen wissenschaftlichen Grund für ungewöhnliche Vorfälle gibt.«
Gerald grinste ihn an, als hätte er ihn bei einer kompromittierenden Feststellung ertappt. »Irgendwo glauben Sie also doch an die Vampirgeschichten.«
Traian setzte eine unbehagliche Miene auf und zuckte mit den Schultern. »Aber nein, natürlich nicht, Gerald.«
Der Mann deutete nun mit dem Kopf auf die Geschwister Sanders. »Sehen Sie diese schöne Frau dort drüben? Die mit dem langen Haar. Sie ist genau der Typ, verstehen Sie? Sie erschien in aller Herrgottsfrühe heute Morgen, hat danach den ganzen Tag verschlafen und ist jetzt wieder auf.«
»Sie meinen Gabrielle?« Traian lachte. »Sie ist Virenforscherin und macht hier Ferien mit ihrem Bruder und ihrer Schwester. Sie sind alle drei begeisterte Bergsteiger und fast den ganzen Tag auf Klettertour.« Er wischte sich über die Stirn. »Ich glaube, ich habe ein bisschen zu viel getrunken. Es wird heiß hier drinnen.«
Gerald verstand den Wink. »Der Wirt schürt das Feuer im Kamin, als wüsste er nicht, dass man nicht so heizen muss, wenn sich so viele Leute im Raum aufhalten«, sagte er und klopfte Traian auf die Schulter. »Lassen Sie uns einen kleinen Spaziergang unternehmen, um ein bisschen frische Luft zu schnappen.«
Widerspruchslos stellte Traian sein Glas auf den Tresen und folgte Gerald um die Tische herum, wobei er sich noch einmal gründlich umsah und auf die verschiedenen Gespräche einstellte, um sicherzugehen, dass es kein verschwörerisches Geflüster gab, bevor er seine Seelengefährtin und ihre Familie allein ließ.
Nebel wallte zwischen den umstehenden Bäumen auf und trieb in dichten Schleiern in das Dorf, wo er sich in kühlen grauen Schwaden über Häuser und Geschäfte legte. Von Süden her wehte ein sanfter Wind, der einen Strom von Informationen über nächtliche Geschöpfe mitbrachte, die den tieferen Wald bevölkerten. Traian nahm Essensgerüche wahr und hörte die leisen Gespräche in den Gebäuden, an denen er mit Gerald auf dem schmalen Bürgersteig vorbeikam. Sie bewegten sich auf die tieferen Schatten zu.
»Ich bin mit Geschichten über Ungeheuer aufgewachsen«, bemerkte Gerald. »Natürlich hielten wir Kinder unsere Eltern alle für ein bisschen verrückt, weil sie so offensichtlich an Vampire und Ghule glaubten. Sie nannten sie menschliche Marionetten, fleischfressende Ungeheuer, die ihren Herren blind gehorchten.«
»Prima Bettgeschichten«, warf Traian ein und griff nach Geralds Arm, als der Mann auf dem unebenen Boden einer dunklen Gasse zwischen zwei Gebäuden stolperte. »Kein Wunder, dass Sie diese Märchen schon fast glauben.«
»Oh, ich glaube sie durchaus.« Gerald senkte die Stimme. »Es gibt eine Menge Leute, die ihnen Glauben schenken. Aber wir haben diese Gegend von den Vampiren gesäubert.«
Traian drehte sich um, sodass er den Weg blockierte und der torkelnde Gerald gezwungen war, stehen zu bleiben. Karpatianer mochten eigentlich kein alkoholisiertes Blut, doch manchmal – wie jetzt – ließ es sich leider nicht vermeiden. Traian musste Geralds Aktivitäten überwachen können, und das ging nur, wenn er einen kleinen Blutaustausch vornahm. Der Mann wäre vielleicht resistenter gegen seine Stimme gewesen, wenn er keinen Alkohol getrunken hätte, doch die Menge, die er intus hatte, ermöglichte Traian einen leichten Zugang zu dem Geist des Mannes.
Und so beugte er sich über Geralds Nacken und trank, während der Vampirjäger duldsam und gefügig blieb und Traians leise gemurmelte Anweisungen befolgte. Der karpatianische Jäger durchforstete das Bewusstsein des Geheimbund-Mitglieds nach Informationen über ihre nächste Jagd. Es gab einige Unstimmigkeiten unter den Bündnispartnern, aber die meisten schienen ihre Aufmerksamkeit und Anstrengungen auf die Ausmerzung von Vampiren in Südamerika zu konzentrieren.
»Verlassen Sie diesen Ort, so schnell Sie packen können. Sie müssen dringend fort von hier!«, befahl Traian dem anderen Mann und zwang ihn, ein paar Tropfen seines eigenen Blutes zu schlucken. So würde er stets in der Lage sein, Gerald selbst über große Entfernungen Dinge einzuflüstern und dafür zu sorgen, dass er keinem Karpatianer etwas zuleide tat. »Sie werden die Frauen vergessen, die Sie heute Nacht gesehen haben, und mich nur als
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