Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)
ihrem Bruder saß, um durch die Bar auf Joie und Traian zuzueilen. Im Kamin hinter ihr loderten die orangefarbenen, goldenen und roten Flammen. Der größere der beiden Männer stellte sein Glas ab und wandte den Kopf, um Gabrielle nachzusehen.
Traians scharfe Instinkte, die mehr die eines Raubtieres als die eines Menschen waren, sandten ein warnendes Kribbeln über seinen Rücken, woraufhin er vorsichtig versuchte, den Geist des Mannes anzurühren. Der Fremde fand Gabrielle attraktiv, doch etwas an ihr ließ ihn glauben, dass sie weit mehr war, als sie zu sein schien, und deshalb suchte er nach Anzeichen für den Vampir in ihr. Für Traian war es offensichtlich, dass der Mann sich zu Gabrielle hingezogen fühlte. Er begründete sein Interesse mit den Kriterien, die ihm von anderen in seinem geheimen Bund der Vampirjäger genannt worden waren.
Weibliche Vampire galten als auffallend schöne Frauen, die, wohin sie auch gehen mochten, Interesse weckten. Sie erschienen nur bei Nacht und hielten nach Männern Ausschau, die sie dazu verführen konnten, ihnen zu Willen zu sein. Die einzigen Frauen, die zu Vampiren werden konnten, waren menschliche, die keine übernatürlichen Fähigkeiten besaßen und von Vampiren verwandelt worden waren. Sie waren so offensichtlich aus dem geistigen Gleichgewicht gebracht, dass niemand sich in ihnen täuschen konnte. Was Traian anging, waren sie bedauernswerte Geschöpfe, die Mitgefühl und eine barmherzige Entsendung ins nächste Reich benötigten.
Offensichtlich hatte der Mann Joie noch nicht gesehen, da er zu sehr damit beschäftigt war, Gabrielle zu beäugen. Traian wusste, dass sein Blut Joies Attraktivität auf subtile Weise noch erhöhen würde, und wollte nicht, dass ihre Familie Aufsehen erregte – vor allem nicht, solange Jubal immer noch die Magierwaffe trug. Deshalb sorgte er dafür, bevor er von Joie zurücktrat, sie so weit abzuschirmen, dass sie dem Fremden uninteressant erscheinen würde.
Joie wappnete sich, um nicht den Halt zu verlieren, als ihre Schwester sie mit gewohntem Enthusiasmus in eine stürmische Umarmung zog. Bei einem Blick über Gabrielles Schulter sah sie, dass der Mann mit der Brille an ihr vorbei zu Traian schaute. Sofort huschte ein Ausdruck des Erkennens über sein Gesicht, und er faltete die Zeitung sorgfältig zusammen und legte sie auf den kleinen Tisch vor ihm.
Traian, warnte Joie. Der Mann mit der Brille und der Zeitung – kennst du ihn? Er hat dich erkannt.
Traian seufzte. Zwei Mitglieder des Bundes der Vampirjäger in diesem kleinen Dorf in der Nähe des Ortes, an dem der Prinz des karpatianischen Volkes seinen Wohnsitz hatte? Das war ein etwas zu großer Zufall für Traian, den er nicht so einfach schlucken konnte. Ein Mann allein könnte ein Späher sein, aber zwei bedeuteten, dass sie sich auf der Jagd befanden. Bei der letzten, die stattgefunden hatte, waren Männer, Frauen und Kinder ermordet worden, menschliche wie auch karpatianische.
Joie trat einen Schritt zur Seite, um Gabrielle ein wenig hinter sich zu bringen, und nahm eine beschützende Haltung ein, doch die beiden Männer befanden sich auf zwei gegenüberliegenden Seiten des Raumes, von denen jeder die seine überblicken konnte. Traian ließ den Blick wie zufällig zu dem schlanken Mann mit der Brille gleiten, der sein Glas erhob, als ihre Blicke sich begegneten.
Schnell durchleuchtete Traian das Gehirn des Mannes. Er war definitiv menschlich und hatte bereits erkannt, dass Traian es nicht war. Der Karpatianer lächelte im Stillen, als Joie sich wieder bewegte, sowie sie das Interesse des Fremden an ihnen bemerkte. Unauffällig schob sie sich vor ihn und versuchte gleichzeitig, auch den größeren, dunkelhaarigen Mann im Auge zu behalten.
Die Freude und Zuneigung, die Traian erfassten und ihm Herz und Seele erleichterten, ließen ihn regelrecht erzittern. Er konnte sich nicht erinnern, dass sich in seinem langen Leben je ein Mensch um ihn gesorgt oder versucht hatte, ihn zu beschützen. Joies kleine Geste bedeutete unendlich viel für ihn, weil sie ihren Glauben an ihn zeigte. Sie hatte ihm einen sehr großen Vertrauensvorschuss gegeben und sich zu seinem Leben und zu seiner Welt bekannt.
Er ist kein Feind , beruhigte er sie. Habe ich vergessen zu erwähnen, dass ich nicht sicher bin, ob ich will, dass du für mich den Bodyguard spielst?
Ach? , entgegnete sie mit hochgezogener Augenbraue. Nicht einmal für dich? Außerdem spiele ich nicht den Bodyguard, sondern gehe
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