Die Sehnsucht der Smaragdlilie
ist und fett wie …“ Ihre Stimme erstarb, aber sie sah zu der beleibten, beschaulich dasitzenden Königin hin.
„Wir alle sollten tanzen, solange wir es noch können“, pflichtete Marguerite ihr bei. „Doch der englische Hof scheint mir alles andere als langweilig zu sein. Das Bankett gestern Abend war wirklich überaus köstlich.“
„Das ist nur so, weil wir Euch Franzosen unterhalten müssen!“, meinte Lady Penelope lachend. „Wenn wir allein sind, geht es bis auf ein paar Jagden und etwas Tanz viel ruhiger zu.“
„Keine Tändeleien? An einem Hof mit so vielen gut aussehenden Herren? Kommt, kommt, Lady Penelope, das kann ich einer jungen, hübschen Dame, wie Ihr es seid, nicht glauben! Unter all diesen charmanten Höflingen müsst Ihr doch einen Favoriten haben.“
Lady Penelope kicherte und blickte auf ihre schludrige Handarbeit. „Ich glaube, die hübschesten Männer sind in Eurer eigenen Gruppe, Madame Dumas. Der Comte de Calonne zum Beispiel.“
Der Comte? Marguerite hatte Claudines Gatten kaum beachtet. Vermutlich sah er gut aus, aber er war gewiss bei Weitem nicht so attraktiv wie Nikolai Ostrowski …
Marguerite schloss die Augen, weil sie beim Gedanken an den Russen plötzlich ein ganz flaues Gefühl im Magen hatte. Diese Unruhe, die er in ihr hervorzurufen vermochte, gefiel ihr gar nicht. Sie erinnerte sich an die vergangene Nacht, daran, wie er seinen warmen Körper im Dunkeln gegen ihren gepresst hatte, an seinen Atem auf ihrer Haut, seinen Kuss. An seine kraftvoll lebendige Art.
Wieso verfolgte er sie so?
„Ihr bewundert also den Comte?“, fragte sie, wobei sie die Augen wieder öffnete und sich wieder mit der Stickarbeit auf ihrem Schoß beschäftigte. Ihre Stiche waren jetzt jedoch weit weniger gleichmäßig.
Lady Penelope zuckte die Achseln. „Er hat so schöne breite Schultern! Ich wette, er ist ein sehr guter Tänzer. Doch seine Frau scheint so sauertöpfisch zu sein.“
Marguerite warf einen Blick auf die blasse Claudine, die unpässlich zu sein schien. „Viele Frauen sind in diesem Zustand missgelaunt.“
„Vielleicht.“ Lady Penelope kicherte so sorglos, wie das nur ein Mädchen konnte, das noch nie schwanger gewesen war. Oder eine Frau, die nicht schwanger werden konnte , so wie Marguerite selbst. „Aber das löst bei ihren Ehemännern ein großes Verlangen nach Trost aus!“
Marguerite lachte. Das war sicher nur allzu wahr. Ihrer Erfahrung nach benötigten Männer in viel zu vielen Dingen viel zu oft „Trost“. Das hieß aber nicht, dass sie bereit war, sich als ihre Trösterin herzugeben.
„Wen haltet Ihr für den hübschesten Mann, Madame Dumas?“, fragte Lady Penelope.
„Ich fürchte, ich bin noch nicht lange genug hier, um mir ein Urteil erlauben zu können.“
„Nun, dann geht einfach von denen aus, die Ihr bereits kennengelernt habt.“
Wieder dachte Marguerite an den Russen, an sein goldenes Haar und wie es sich von dem roten Wams abgehoben hatte. Er hatte einer Flamme geähnelt, einer Flamme, die sie zu verzehren drohte, wenn sie ihr zu nahe kam. „Vielleicht König Henry.“
Lady Penelope schüttelte den Kopf. „Ich denke, für seine Jahre sieht er immer noch recht gut aus. Doch Ihr müsstet mit Mistress Boleyn um ihn kämpfen, und das würde ich nicht zu versuchen wagen. Ihre Zunge ist so scharf wie ihre Krallen.“
„Ich bin Mistress Boleyn noch nicht begegnet. Sie muss ziemlich schön sein.“
„ Schön würde ich nicht sagen. Nicht so wie Ihr, Madame Dumas! Sie ist – eher interessant. Sie lebte in Frankreich und ist weit modischer gekleidet als der Rest von uns.“
„Ich frage mich, wann ich sie sehen werde.“
„Zweifellos heute Abend. Man sagt, nach dem Abendessen würde getanzt, und sie lässt sich keine Gelegenheit entgehen, ihre Tanzkünste zu zeigen.“ Lady Penelope senkte die Stimme noch mehr und wisperte: „Sie ist zum Dienst an der Königin bestimmt, aber gewöhnlich ist sie viel zu sehr mit ihrem eigenen Vorhaben beschäftigt.“
„Tatsächlich?“
Lady Penelope nickte. Eine der Hofdamen, eine blasse junge Frau namens Jane Seymour, begann, laut aus dem Gedicht Le Roman de la Rose vorzulesen, und alle anderen wurden still. Jetzt fand sich keine Gelegenheit mehr für Marguerite, bei Lady Penelope nachzuhaken, was dieses „eigene Vorhaben“ wohl sein mochte, doch sie war sich sicher, es bald in Erfahrung bringen zu können. Höchst interessant!
Auch grübelte sie über die Bemerkung nach, Mistress Boleyn sei in
Weitere Kostenlose Bücher