Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sehnsucht der Smaragdlilie

Die Sehnsucht der Smaragdlilie

Titel: Die Sehnsucht der Smaragdlilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Mccabe
Vom Netzwerk:
Frankreich gewesen und sei so „modisch“ gekleidet. Hatte nicht selbst der Russe gesagt, ihr, Marguerite, fehle der berühmte französische Charme? Es war schwer, während eines Messerkampfs charmant zu bleiben, aber sie wusste, dass sie jede Menge Charme besaß, wenn sie ihn benötigte. Vielleicht war es an der Zeit, ihn einzusetzen …
    Nikolai streckte die Hand aus und prüfte die Spannung des Seils, um sicherzugehen, dass es fest und straff verankert war. Von draußen her konnte er in dem kleinen Raum des Theaters, der ihm für seine Proben zur Verfügung gestellt worden war, Sir Henry hören, wie er seinen Gehilfen Anweisungen erteilte. Ihre Stimmen, das Hämmern und Sägen schienen weit weg zu sein. Ihm war, als wäre er in einer Höhle verborgen, in der die wirkliche Welt ihn nicht erreichen konnte.
    Wenn es nur einen solchen Fleck gäbe, einen einzigen, verborgenen Ort des Friedens. Doch wenn es ihn gab, dann war er auf all seinen Reisen nie auf ihn gestoßen. Überall – ob in Moskau, Venedig, England, Holland, Spanien – glichen die Menschen einander. Laut, kämpferisch, schön und grausam, stolzierten sie mit all ihrer Eitelkeit und ihrem Begehren umher, bis alles in einem einzigen Augenblick vernichtet war.
    Nur in der Freundschaft zu Marcos und dessen Liebsten hatte er einen sicheren Hafen gefunden, eine Erinnerung daran, dass Güte und Freundlichkeit wirklich existierten, wenn man nur hartnäckig genug danach suchte. Und dass man sie, wenn man sie gefunden hatte, wie Rubine und Gold hüten musste. Nikolai hatte früh seine Familie verloren, war allein durch die Welt gezogen, bis er eine neue Familie fand – Marcos und Julietta und Marcos’ seit Langem verloren geglaubter Halbbruder Balthazar, dazu Nikolais eigene Komödiantentruppe.
    Nur wegen dieser so kostbaren und fragilen Bindungen war er überhaupt in diesem Nest spuckender und zischender französischer, spanischer und englischer Vipern gelandet. Doch da er nun schon einmal hier war, verspürte er auch wieder etwas von der Erregung in sich aufsteigen, diese aufflammende Erregung, die nur von einer drohenden Gefahr geweckt werden konnte.
    Er fühlte sich rastlos heute, erfüllt von Tatendrang. Ein guter Kampf täte ihm jetzt gut. Doch was das betraf, so war jeder hier in Greenwich von enttäuschender Höflichkeit. Außer Marguerite Dumas natürlich, aber sie war nirgendwo zu sehen. Gewiss saß sie zusammen mit den anderen Damen in Königin Katharinas Gemach. Dort würde sie hoffentlich wenig Schaden anrichten können.
    Sie war der Grund für seine Rastlosigkeit.
    Um sich abzulenken, wollte Nikolai ein wenig seine akrobatischen Kunststücke proben. Er legte sein rotes Wams und seine spanischen Lederstiefel ab und schwang sich, nur mit Hemd und Hose bekleidet, auf das Seil. Oben angekommen, schwankte er ein wenig. Er konzentrierte sich mit gerunzelter Stirn, und nachdem er sein Gleichgewicht wiedergewonnen hatte, machte er einige Schritte.
    Wegen der langen, müßigen Tage an Bord und im Sattel fühlte er sich etwas steif. Auch hatte er durch das zu reiche, gute Essen und die erlesenen Weine zugenommen. Ein Glück, dass die „Smaragdlilie“ ihn gestern Nacht nicht überwältigt hatte, als er so töricht gewesen war, ihr trotz seiner schlechten Verfassung aufzulauern!
    Doch als er jetzt über das Seil schritt, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, spürte er, wie seine Muskeln warm wurden, wie er langsam, aber sicher wieder ein Gefühl für diesen anspruchsvollen Balanceakt bekam. Es gelang ihm, England, Marguerite Dumas und Marcos’ Mutter auszublenden, so dass es für ihn nur noch seinen Körper und das dünne Seil gab.
    Nikolai kauerte sich zusammen und machte einen Salto vorwärts, sprang hoch und machte einen Salto rückwärts. Dann stand er wieder mit ausgestreckten Armen regungslos auf dem Seil.
    Lebhafter Applaus riss ihn aus seiner Versunkenheit. Er sah auf und erblickte Marguerite, die unbemerkt das Theater betreten haben musste und nun mit juwelengeschmückten Händen klatschte.
    Er hätte erwartet, Spott und kalte Berechnung auf ihrem Gesicht zu entdecken, aber ihre Wangen glühten rosa und ihre Augen glänzten. Verschwunden war ihr üblicher undurchsichtiger grüner Eisblick. Ein entzücktes Lächeln öffnete ihre Lippen.
    Wie ungeheuer jung sie in diesem Augenblick aussah, so frei und lebendig! Wenn er sie zuvor schon für schön gehalten hatte, so stellte er jetzt fest, dass er nie gewusst hatte, was wirkliche

Weitere Kostenlose Bücher