Die Sehnsucht der Smaragdlilie
Abend hätte töten wollen.“
„Warum bin ich es dann nicht? Was wollt Ihr also?“ Seine Stimme klang tiefer als sonst. Er trat einen Schritt zurück und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen, als wollte er die Spuren ihres Kusses davon entfernen.
Marguerite wandte sich ab und schlang die Arme fest um sich. Die Verzückung, die sie eben noch beflügelt hatte, schwand dahin und ließ sie gereizt und wütend zurück. Aber wütend auf wen, wütend worauf? Auf Nikolai – oder sich selbst?
Sie zwang sich zu einem spöttischen Lachen. „Nun, Monsieur, ich wollte nur einen Kuss! Einen Kuss von einem hübschen Mann – ist das zu viel verlangt? Erscheint es Euch so ungewöhnlich, dass Ihr es für Wahnsinn haltet?“
Schweigend stand er da und sah sie nur an, als wollte er ihr sagen, dass er sie viel zu gut kannte, um das zu glauben. Um zu glauben, dass ihr einziges Motiv ein gestohlener Kuss im Mondlicht sein sollte.
Dieser Blick entfachte ihren Zorn nur noch mehr! Wie sehr wünschte sie sich, ihn zu töten – oder zu weinen.
Doch sie würde niemals weinen – schon gar nicht hier und jetzt. „Monsieur, sollte ich Euch in Eurer Bescheidenheit gekränkt haben, so bedauere ich es“, meinte sie in einem neckenden Tonfall. „Ich versichere Euch, es wird nicht wieder geschehen. Nun, wollen wir wieder hineingehen? Man lud mich ein, später mit Doña Elena Karten zu spielen.“
Er verbeugte sich tief vor ihr und deutete mit einer galanten, theatralischen Handbewegung zum Schloss hin. „Lasst uns Spiele spielen, Madame – Kartenspiele.“ Er senkte die Stimme zu einem heiseren Raunen, gerade laut genug, dass Marguerite es hören konnte, als sie ihn im Vorübergehen streifte. „Aber Ihr wisst genau, dass es noch nicht vorbei ist.“
Oh ja, das wusste sie nur zu gut. Was immer es war, es würde nicht eher vorbei sein, als bis einer von ihnen tot war.
9. KAPITEL
Das Bild, das die Gemächer des Duque und der Duquesa de Bernaldez boten und die Stimmung darin unterschieden sich sehr vom großen Festsaal. Man hätte sogar glauben können, in einem völlig anderen Palast zu sein, dachte Nikolai.
Während er leicht über seine Laute strich, blickte er sich im Raum um und betrachtete all die Menschen, die Darsteller dieses kleinen Schauspiels. Die Gesellschaft bestand hauptsächlich aus Spaniern, Freunden des Duque. Ihr singender, kastilianischer Dialekt schwebte leicht über der Musik, hier und da blitzten goldgeränderte Karten auf, die goldenen Pokale klirrten leise. Das Lachen war freundlich und gedämpft, ganz anders als bei dem derben Fest des englischen Gastgebers. Der ganze Raum war in Halbdunkel getaucht, voller bewegter Schatten und verborgener Ecken, die mit den dunklen geschnitzten Wandpaneelen verschmolzen.
Ein silbrig schimmernder Fleck jedoch schien alles Licht im Raum auf sich zu ziehen: Marguerite Dumas. Sie saß mit Doña Elena und zwei spanischen Herren am Tisch, die Augen konzentriert auf die Karten gerichtet. Kein einziges Mal sah sie zu Nikolai hin, auch nicht für einen winzigen Moment. Doch das unsichtbare Band zwischen ihnen, das er seit ihrer ersten Begegnung fühlte, war auch jetzt deutlich zu spüren.
„Wie findet ihr England bis jetzt, Señorita Dumas?“, fragte einer der Männer.
Marguerite lächelte. „Sehr kalt, Señor.“
Die anderen am Tisch lachten. „Und nicht nur das Wetter, sì ? Die Leute sind so seltsam, so ungehobelt.“
„Königin Katharina ist sehr charmant“, protestierte Doña Elena. „Sie hieß meine Damen und mich äußerst liebenswürdig willkommen, und ihre Gastfreundschaft ist über jeden Tadel erhaben.“
„Aber sie ist auch Spanierin, nicht wahr, meine Liebe?“, meinte ihr Gatte am Nachbartisch. „Die Tochter unserer seligen Königin Isabella. Da ist sie natürlich charmant und liebenswürdig! Es liegt ihr im Blut.“
„Wenn es sie nicht gäbe“, bemerkte eine von Doña Elenas Begleiterinnen, „wäre dies hier ein ziemlich unerträglicher Ort. Sie richten sich nicht korrekt nach der Etikette. Sie tanzen noch nicht einmal richtig.“
„Arme Prinzessin Mary“, sagte eine andere Dame. „Ihre Mutter tut ihr Bestes, um sie gut zu erziehen, da bin ich mir sicher. Aber wenn sie an solch einem barbarischen Ort gefangen ist …“
„Zusammen mit Frauen wie dieser herumstolzierenden Boleyn“, fügte ein Herr hinzu. „In Spanien wäre so etwas unmöglich.“
„Nie würde dort eine tugendhafte und gläubige Königin so missachtet
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