Die Sehnsucht der Smaragdlilie
heiraten! Aber jeder braucht Musik und unterhaltsame Gesellschaft. Besonders einsame junge Damen – solange es nicht zu weit geht.“
Nikolai erinnerte sich an Venedig, an seine Hand auf Marguerites nacktem Schenkel, seinen Mund auf ihrer Brust, an ihren Geruch und ihren Geschmack, der ihm die Sinne vernebelt und ihn zum Wahnsinn getrieben hatte. Sie waren bereits zu weit gegangen!
„Ich fürchte, Madame Dumas wird sich meiner Gesellschaft kaum entziehen können“, meinte er. „Wir werden in einer Aufführung zusammenarbeiten.“
„Sehr gut! Ich bin überzeugt, das wird die schönste Aufführung, die man je an diesem langweiligen Ort gesehen hat. Nun, wollt Ihr uns noch ein Lied vortragen? Auch Señorita Alva schien das letzte gefallen zu haben …“
10. KAPITEL
Marguerite schob den dünnen Draht ins Schloss und drückte ihn mit einer raschen Drehung des Handgelenks nach oben. Sie spürte, wie der Mechanismus nachgab und der Riegel aus dem Schnappverschluss des Kästchens fiel.
Also wirklich, dachte sie, diese Spanier sind erstaunlich nachlässig . Das Schloss war viel zu leicht aufzubrechen. War es vielleicht doch eine Falle? Wollte hier jemand die Probe aufs Exempel machen? Sie warf einen Blick über die Schulter, doch der Raum war leer. Still.
Während des Kartenspiels am Abend zuvor hatte sie dieses Kästchen bemerkt, ein einfaches, schmuckloses Holzkästchen von der Sorte, wie sie oft zum Transport oder zur Aufbewahrung von Dokumenten diente. Es stand auf einem Tisch nahe dem Fenster inmitten eines Durcheinanders von leeren Diplomatentaschen und unbeschriebenen Pergamentbögen. Sie hatte einfach nicht widerstehen können herauszufinden, was sich darin verbarg. Allerdings vermutete sie, dass es sich bei seinem Inhalt nicht um etwas allzu Geheimes handelte. Don Carlos machte nicht auf sie den Eindruck, ein Narr zu sein. Doch jede Information konnte sich als nützlich erweisen.
Und Marguerite brauchte unbedingt etwas, das sie von ihren Gedanken an Nikolai ablenkte. Als sie zu Bett gegangen war, hatte sie erst nicht einschlafen können, denn in ihrem Kopf hörte sie immer noch sein Lied. Und hast kein Mitleid mit dem, der dich so sehr liebt?
Stirnrunzelnd ließ Marguerite den Riegel aufschnappen und hob den Deckel des Kästchens. Nikolai war wirklich ein talentierter Schauspieler, denn seine Worte, seine Haltung, seine Mimik spiegelten die in dem Lied beschriebenen Gefühle wider, während er sang, gerade so, als wüsste er wirklich, was Liebe ist. Als ob er allein begriff, was für alle anderen Herzen ein Geheimnis war.
Sie würde niemals dieses Wissen teilen können, denn für sie war Liebe nur ein verwirrendes Rätsel. Sie sah in ihr nur eine Lüge, ein Spiel, eine Koketterie ohne große Bedeutung. Eine leere, schimmernde kleine Seifenblase.
Und auch Nikolais Poesie war nicht mehr als das. Doch seine Augen hatten den süßen Worten eine tiefere Bedeutung verliehen …
„Verflixt“, fluchte sie. Den Draht, den sie immer noch in der Hand hielt, hatte sie offenbar so fest gehalten, dass sie sich daran geschnitten hatte. Eine dünne Blutspur lief ihr über die Finger. Nikolai Ostrowski lenkte sie nur ab. Sie musste ihn vergessen. Ihr Auftrag war das einzig Wichtige.
Hastig wickelte sie ein Taschentuch um ihre Hand, damit sie keine verräterischen Blutflecken hinterließ, und fing an, den Inhalt der Schatulle zu untersuchen. Die Papiere schienen persönliche Briefe an Don Carlos und seine Begleiter zu sein, eine Liste der zahlreichen Geschenke, die man König Henry mitgebracht hatte, befand sich auch darunter. Sie hatte recht gehabt, hier gab es nicht viel, was dem französischen König eine Hilfe sein konnte. Die Informationen, die Marguerite sammelte, während sie die Schriftstücke durchsah, sagten ihr nur, was sie bereits wusste. Dass die Spanier nämlich planten, die französische Allianz auf alle Fälle zu verhindern. Und dass sie wie immer mit Königin Katharina verbündet waren.
Rasch prägte sie sich einige wenige nützliche Besonderheiten ein und begann dann, die Briefe sorgfältig in der gleichen Reihenfolge zurückzulegen, in der sie sie herausgenommen hatte. Aber auf dem Boden der Schatulle fand sie noch einen Brief.
Marguerite entfaltete das Pergament, das auf seiner Reise und vom häufigen Lesen brüchig geworden war, auch wenn das Datum auf seiner Rückseite zeigte, dass man es erst gestern überbracht hatte.
„An die höchst erhabene Duquesa de Bernaldez – oder soll ich
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