Die Sehnsucht des Dämons (German Edition)
von ihr ab.
Schließlich nahm auch der Junge seinen ersten Schluck, wobei sein Adamsapfel merkwürdig auf und ab hüpfte. „Ich weiß, dass die Vase sehr kostbar war, Sir. Ich bin untröstlich. Ich will versuchen, den Verlust zu ersetzen.“
„Das könntest du nicht. Sie war unbezahlbar. Ein Vielfaches mehr wert, als das, was du im Jahr verdienst. Es würde ein ganzes Jahrhundert dauern, bis du die Vase abbezahlt hättest. Solange will ich nicht warten. Man könnte sogar so weit gehen und sagen, die Vase war viel mehr wert als du selbst. Und damit hat sich die Frage des Ersetzens erledigt.“
„Aber irgendwas muss doch gehen“, protestierte der Junge zaghaft. Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er schluckte und griff sich an den Hals. Dann räusperte er sich. Noch mal. Selbst in Lucianas Ohren klang sein Würgen schrecklich. Es war der Klang des Todes, des Erstickens, der aus seiner Luftröhre drang.
Von Krämpfen geschüttelt, fiel der Page zu Boden. Luciana zwang sich dazu, keinerlei Reaktion zu zeigen. Wenn Corbin auch nur das kleinste Anzeichen von Schwäche an ihr entdeckte, würde er auch sie zerstören. Aber sie war nicht schwach. Schon vor zweihundert Jahren hatte sie diese Eigenschaft hinter sich gelassen. Zusammen mit ihrem menschlichen Leben.
Das Zucken des Jungen erstarb. Jetzt lag er so still da, dass die plötzliche Ruhe ein regelrechtes Vakuum im Raum entstehen ließ, ein schwarzes Loch der Stille. Luciana sah nicht hin. Leichen hatte sie schon viele gesehen, wenn auch meist menschliche. Denn ein Dämon besaß zwar die physischen Eigenschaften eines Menschen, war jedoch nahezu unverwundbar. Allerdings nicht unsterblich, wie sie gerade unter Beweis gestellt hatte. Nur die Seele eines Dämons konnte man nicht zerstören. Die Seele des Jungen würde dorthin zurückkehren, wo Corbin sie gefunden hatte.
Zurück in die Hölle.
Corbin schwenkte wieder den Wein in seinem Glas herum. „War er also doch noch zu etwas nützlich. Gift ist zwar ein sehr antiquiertes Tötungsmittel, führt aber immer wieder zu interessanten Resultaten.“
Sie neigte den Kopf und lächelte – eine angemessene Reaktion auf sein Kompliment.
„Der Wein hat ein wunderbares Bouquet. Komplex und dennoch subtil.“ Corbin erwiderte ihr Lächeln. „Ich liebe Frauen, die die feinen Dinge des Lebens zu schätzen wissen.“
Das Glasfläschchen kam in ein mit Seide ausgeschlagenes Kästchen, das sie in ihre Handtasche steckte. An einem Dämon von niederem Rang hatte das Gift also gewirkt. Nur war das von ihr auserkorene Opfer hundert Mal stärker.
Corbin bemerkte ihren Blick. Vielleicht fragte er sich, ob er das auserkorene Opfer war. Wie viel er wohl ahnt, überlegte sie. Kannte er ihre Absichten? Aber anscheinend hatte er ganz andere Dinge im Sinn. „Wenn das Gift einen Dämon umbringen kann, kann es auch nützlich sein im Kampf gegen die Kompanie der Engel. Sie machen mir in letzter Zeit Ärger. Lästig wie Kanalratten sind sie.“
Luciana widerstand dem Bedürfnis, die Augen zu verdrehen.
Corbin war besessen von der Kompanie, einer Vereinigung von Schutzengeln, die in einem weltweiten Netzwerk organisiert waren. Sie arbeiteten jeweils in Gruppen von mehreren Dutzend und waren um Längen besser organisiert als die Dämonen. Das lag daran, dass Dämonen aufgrund ihres Charakters grundsätzlich streitsüchtig und rechthaberisch und daher als Teamplayer eher wenig geeignet waren. Falls sie nicht von einem Diktator dazu angehalten wurden. Einem Diktator wie Corbin.
„Warum löschst du die Kompanie nicht einfach ein für alle Mal aus?“, heuchelte sie Interesse. Luciana waren die Engel vollkommen egal. Sie wollte einen Dämon töten. Einen ganz bestimmten Dämon.
„Für den Kampf zwischen Engeln und Dämonen gelten Regeln“, erklärte er ihr stirnrunzelnd. „Regeln, an die man sich hält und gegen die man nicht verstößt.“
„Man kann Regeln aber auch umgehen.“
Sein Stirnrunzeln verschwand. „Du verschwendest dein Talent als böse Dämonin, meine Liebe. Du hast zwar deine Unabhängigkeit, jedoch nicht die Unterstützung der großen Masse hinter dir. Denk mal darüber nach, ob du einen Posten in meiner Organisation übernehmen möchtest.“
„Eines Tages vielleicht, mio caro .“
An dem Tag, an dem die Hölle gefriert. Eher würde sie selbst Gift schlucken und in die Hölle zurückkehren, als sich Corbins mafiöser Organisation anzuschließen und eine seiner Befehlsempfängerinnen zu werden.
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