Die Sehnsucht des Dämons (German Edition)
sich einen Namen zu machen, war es der Himmel auf Erden. Ich eröffnete einen Saloon und wartete auf den rechten Zeitpunkt. Und der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt.“
Serena blinzelte. Ihre Augen waren noch blauer als der Sommerhimmel und so klar und hell, dass er meinte, ihre Gedanken wie Wolken dahinter entlangziehen zu sehen. Eine Weile saßen sie schweigend da.
Schließlich breitete sie die Arme aus, um die Weite des Canyons darzustellen. „Es ist so wunderschön hier. Ich weiß nicht, wie man da an der Macht des Guten zweifeln kann, wo doch solche Schönheit existiert.“
„Gut und Böse sind im Gleichgewicht. Außerdem solltest du inzwischen wissen, dass schön nicht unbedingt gut bedeutet“, widersprach er ihr. „Egal was die Menschen glauben – Keats lag falsch mit seiner Behauptung ‚Schönheit ist Wahrheit, wahr ist schön‘. Du kannst nicht verleugnen, dass ich schön bin. Aber ich bin von Grund auf böse.“
„Das stimmt nicht. Zu glauben, Gut und Böse seien im Gleichgewicht, ist ein Trugschluss. Und du bist nicht böse. Du irrst dich.“ Sie drehte sich zum Bright Angel Canyon um, eine kleine Sorgenfalte auf der Stirn.
„Dieser Canyon ist ein Ort der Schönheit, aber auch ein Ort des Todes. Fast sechshundert Seelen haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden. Mord, Selbstmord, Flugzeugabsturz, Unterkühlung, Flüssigkeitsmangel, Ertrinken, Steinschlag, Sturz – hier sind auf jede erdenkliche Art Menschen zu Tode gekommen. Und du glaubst immer noch, Satan würde seine Existenz nicht ständig unter Beweis stellen?“
Sie trug ihre Erwiderung ruhig und voller Überzeugung vor. „Ich glaube, auch Satan ist eine verirrte Seele. Er war ein gefallener Engel. Wer sagt, dass er nicht wieder zurückgehen kann? Dass du nicht wieder zurückgehen kannst?“
Julian lachte. „Wahrscheinlich würde er dasselbe über dich sagen. Du könntest auch fallen.“ Ihr Blick wanderte zum Rand des Plateaus und zum steilen Abgrund. Er wollte noch hinzufügen, dass sie sogar sehr leicht fallen könnte, doch er unterließ es. Sein Ziel war es ja, sie in einer falschen Sicherheit zu wiegen, nicht, sie wieder in diese Habachtstellung zu versetzen.
„Wieso hast du dich für die Mächte der Dunkelheit entschieden? Was ist mit dir passiert, Julian?“
Ihre blauen Augen suchten in seinem Gesicht nach einer Antwort. Aber es war besser, wenn sie es nicht wusste. Wenn er seine Geschichte erzählte, würde sie Mitleid mit ihm bekommen, und das wollte er nicht. Also wechselte er schnell wieder das Thema, indem er ausführlich von seinem ersten Besuch im Canyon erzählte und von den Forschungsreisen, die ihn immer wieder hierher zurückbrachten, sei es zu Fuß oder zu Pferde.
Er nahm den Roten Samtkuchen aus dem Picknickkorb, den man ihnen als Nachtisch eingepackt hatte, und reichte Serena ein Stück. Sie aß, und er sprach weiter, doch plötzlich bemerkte Julian eine minimale Bewegung. Ein Schlängeln, Sichkrümmen, ein Knallgrün vor ockerfarbenem Fels. Das war die Farbe des tropischen Regenwalds, nicht der Canyons von Arizona. Das war eine Schlange, die hier nicht heimisch war. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Er wollte Serenas Namen rufen und sie warnen. Doch es war schon zu spät.
Es war das Geräusch, das Serena aufhorchen ließ, das Wispern von Haut, die über den Boden schabt. Sie blickte nach unten und sah die giftgrüne Schlange. Ein Todesbote. Eine solche Schlange war am Abend zuvor aus Lucianas Handtasche gekrochen.
Wie seltsam. Einen Moment lang überlegte sie, ob die Schlange wohl echt war. Dann bewegte das Tier sich, die Farben verschwammen, der kleine schwarze Kopf schnellte nach oben. Wie ein Pfeil schoss die Schlange nach vorn und schlug ihre Giftzähne in Serenas Knöchel. Es tat nicht besonders weh. Es war vielmehr überraschend.
Nur ein Dämon kann einen Engel töten, dachte sie.
Machte Julian gemeinsame Sache mit Luciana? Flüchtig dachte sie, sie wäre vielleicht nur ein Puzzlestein mehr für ihn auf seinem Weg zur Macht, ein hilfloses Opfer mehr, dessen Vernichtung Julian in der höllischen Rangfolge weiter aufsteigen ließ.
Ihr Körper wurde taub.
Vielleicht verkörperte Julian doch die reine Bosheit.
10. KAPITEL
J ulian sah sie fallen. Hörte das Rascheln von Flügeln, die sich aber nicht ausbreiteten, sondern einfach zu Boden sanken. Ihr Körper wiegte hin und her – selbst im Fallen war sie voller Anmut. Sie sackte zusammen, versuchte sich mit ihren schon zu schwachen
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