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Die Sehnsucht des Dämons (German Edition)

Die Sehnsucht des Dämons (German Edition)

Titel: Die Sehnsucht des Dämons (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Chong
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plauderte Julian mit ihr, während sie über die mit Gebüsch bewachsene Landschaft flogen, und deutete auf die schwarzbraunen Gesteinsbrocken des Gebirges vulkanischen Ursprungs. Sie flogen über die berühmte Hoovertalsperre, und Serena bewunderte das knallblaue Wasser des Lake Mead, der durch die riesige Staumauer in zwei Hälften geteilt wurde. Die Zeit schien stillzustehen, als sie diese Wunderwelt unter sich betrachtete.
    Julian flog den Hubschrauber so umsichtig und sicher, wie er Auto fuhr. Er hatte den Steuerknüppel zwischen die Beine geklemmt und betätigte ihn gekonnt. Er bediente die Instrumente mit demselben Geschick, das er am Abend zuvor an ihrem Körper an den Tag gelegt hatte. Er flog konzentriert und ruhig. Ein Lächeln umspielte seinen Mund, während sie sein Profil bewunderte. Sein athletischer Körper war völlig entspannt – offensichtlich machte das Fliegen ihm Spaß.
    Es war für ihn ein unschuldiges Vergnügen, frei von Taktieren und Intrigieren. Serena versuchte, diese Seite an Julian mit seinem Dämonenwesen in Einklang zu bringen. Auch letzte Nacht im Bett war da etwas Zartes, Weiches an ihm gewesen, gänzlich frei von dämonischen Impulsen. Er hatte sie mit einer solchen Zärtlichkeit berührt, die sie fast als menschlich bezeichnen würde.
    Aber sie war kein Mensch. Und er auch nicht. Das sollte sie besser nicht vergessen.
    Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Landschaft zu. Sie waren etwa eine Stunde in der Luft, als sie eine Gebirgskette erreichten, auf deren anderer Seite sich der dramatische Grand Canyon öffnete. Plötzlich türmten sich rund um sie die Gesteinsschichten meterhoch auf. Sie hörte seine Stimme über Kopfhörer. „Der Grand Canyon ist durch Erosion entstanden. Die gewaltigen Kräfte von Wasser, Eis und Wind haben in vielen Tausend Jahren diese besondere Landschaft entstehen lassen. Ich finde, sie hat eine Seele.“
    Julian steuerte den Hubschrauber am Rand des Canyons entlang und zeigte ihr eine halbe Stunde lang besondere Gesteinsformationen: Nadelspitzen, Tafelberge, Felstürme. „Es gibt eine Felsformation, die aussieht wie Tempel“, erklärte er, während sie darüberflogen. Shivatempel, Buddhatempel, Zoroastertempel, Brahmatempel. Staunend betrachtete sie die steil aufragenden, gezackten Felsen. Wie passend, dass man ihnen spirituelle Namen gegeben hatte! Der Canyon strahlte eine immense Ruhe aus – ein Ort, der zum Meditieren einlud. Ein ziemlich seltsamer Ort für einen Dämon, dachte sie.
    Julian landete schließlich auf einem zehn Meter breiten, nackten Felsplateau, dessen Ränder steil nach unten abfielen. Er schaltete den Motor aus und wartete, bis die Rotorblätter zum Stillstand gekommen waren. Dann nahm er ihr den Kopfhörer ab.
    „Deshalb bin ich mit dir hergekommen.“ Er deutete auf die Schlucht tief unter ihnen. „Das ist der Bright Angel Canyon. Dieselben Entdecker haben Mitte des neunzehnten Jahrhunderts einen Fluss in Utah mit dem Namen Dirty Devil River getauft. Sie sagten, sie wollten mit den Namen sowohl die guten als auch die bösen Geister ehren“, erklärte er grinsend. „Am Ausgangspunkt des Bright-Angel-Wanderwegs gibt es einen Aussichtspunkt, aber der ist meistens überfüllt. Von hier aus haben wir einen viel besseren Blick.“
    Hier oben war natürlich niemand außer ihnen. Sie waren über zwei Stunden geflogen, doch der Canyon war ein ganzes Universum entfernt von Las Vegas. Eine Weile saßen sie einfach nur da und betrachteten stumm die großartige Landschaft, die sich um sie herum ausdehnte. Serena ließ den Blick über die verschiedenen Gesteinsschichten wandern, die grau und rot leuchteten, und nach unten, wo sich der graugrüne Colorado River seinen Weg durch die Felsen bahnte. Zum ersten Mal seit zwei Tagen war sie im Frieden mit sich und der Welt.
    Julian stieg aus, breitete eine Decke aus und packte den Picknickkorb aus. Serena folgte ihm und atmete die reine, klare Luft des Canyons ein. Sie trat an den Rand des Felsplateaus und sah nach unten – die Klippe brach senkrecht in die Tiefe ab. Als Julian sich hinter sie stellte, überkam sie plötzlich ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit. Instinktiv wusste sie auf einmal, dass er ihr wirklich niemals wehtun und sie immer beschützen würde.
    „Komm weg da“, flüsterte er in ihr Ohr. „Du stehst zu nah am Abgrund.“
    Er führte sie zur Picknickdecke, auf der er bereits die Köstlichkeiten ausgebreitet hatte, die man ihnen im Hotel eingepackt hatte:

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