Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
sich nicht eben erst gefragt, wie es wäre, sie zu küssen, sie zu kosten, den schlanken Körper im Arm zu halten? Dieser indische Prinz, den sie so anhimmelte, war dabei allerdings seine geringste Sorge, den würde er ihr schon bald austreiben.
Charles legte die Hände auf den Rücken und schlenderte mit gesenktem Kopf nachdenklich durch den Raum, wohl wissend, dass Sir Percival ihn besorgt beobachtete und dabei immer wieder Schweißperlen von seiner Stirn tupfte.
Grundsätzlich war der Gedanke verlockend, aber man konnte seiner Frau gegenüber nicht sein Leben lang Geheimnisse haben. Die Ehe seiner Eltern war die Hölle gewesen. Auch wenn er nur wenige Erinnerungen an seine Mutter hatte, das wusste er.
Nein, so etwas würde ihm nicht passieren. Er war schon weit genug in die Fußstapfen seines Vaters getreten, er musste nicht alle seine Fehler wiederholen. Wenn er eine Ehefrau wollte, dann eignete sich ein sanftmütiges indisches Mädchen weit besser als dieses Temperamentsbündel. Er war verrückt, überhaupt eine Sekunde darüber nachzudenken. Entschlossen drehte er sich zu Sir Percival um. »Es wäre mir«, sagte er, »eine sehr große Ehre, Sir Percival, um die Hand Ihrer Tochter Harriet anzuhalten, aber ich fürchte, dass wir nicht zusammenpassen.«
* * *
Harriet traf beinahe der Schlag, als Lady Elisabeth ihr eröffnete, dass ihr Vater soeben dabei war, Charles eine Heirat mit ihr vorzuschlagen. Sie konnte zuerst kaum glauben, was sie da hörte, aber dann stürzte sie davon, um das Schlimmste zu verhindern.
Wie konnten sie nur! Wie unglaublich demütigend! Und ausgerechnet nach dieser verstörenden Erkenntnis am Nachmittag. Der Schreck, als ihr klarwurde, wie gut Charles ihr gefiel, saß ihr jetzt noch in allen Gliedern.
Sie wollte ihn nicht verlieren! Wenn ihr Vater sie ihm aber auf so undelikate Weise antrug, würde er vermutlich so schnell davonlaufen, dass man die Staubwolke bis nach Madras sehen konnte.
Sie eilte mit fliegenden Röcken ins Haus und stürmte den Gang entlang. Ein Diener kreuzte ihren Weg. Sie wich aus, ohne ihren Schritt zu verlangsamen.
»Es ist Besuch für Sie da, Memsahib.«
»Ich habe jetzt keine Zeit!«
Und dann stand Jahan plötzlich wie aus dem Nichts vor ihr. Harriet blieb wie angewurzelt stehen und rang nach Luft.
Ihr blieb auch nichts erspart. Dabei hätte sie sich denken können, dass er sie besuchen würde. Aber ausgerechnet jetzt? Männer waren manchmal so unsensibel. Hilflos sah sie von dem schönen Inder zur Tür des Arbeitszimmers ihres Vaters. Nur noch fünf Schritte …
»Jahan, wie schön, dass du … aber ich muss zuerst …«
Er ließ sie nicht einmal ausreden, war schon bei ihr, ergriff ihre Hände und zog sie an seine Lippen, sie spürte den zärtlichen, vertrauten Druck. Ohne sie loszulassen, sah er sie an. Ein Blick reinster Anbetung und Verführung. Harriets Herz schmolz ein wenig.
»Meine schöne englische Blume«, murmelte er an ihren Fingern, küsste jeden einzelnen davon. Sie spürte den Hauch seines Atems und erschauerte leicht. Seine Berührung erinnerte sie an die vielen einsamen Nächte auf Java, in denen sie sich ihren sehr gewagten Träumen hingegeben hatte.
Aber Charles war nur fünf Schritte entfernt. Rasch entzog sie Jahan ihre Hände. »Wie aufmerksam von dir, mir einen Besuch abzustatten.« Sie schielte über die Schulter und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Was sollte sie tun? Jahan warten lassen und schnell die Sache mit Charles klären? Retten, was zu retten war?
Jahan ergriff ihre Hände und zog sie trotz ihres Widerstrebens weg vom Arbeitszimmer in den Empfangssalon. Sein Diener schloss hinter ihnen die Tür und baute sich als Wächter davor auf.
Schon hüllte Jahans sinnliche Stimme sie ein. »Hast du daran gezweifelt, dass ich kommen würde, nachdem ich dich sah?«, fragte er leise. »Daran gezweifelt, dass ich von dem Tag an, als du mich verlassen hast, bis heute, nicht jede Stunde an dich denken würde?«
Das war nun doch etwas stark aufgetragen. Sie wurde sogar etwas ärgerlich. Erstaunlich, aber ein gutes Gefühl. Auf jeden Fall viel besser als sehnsüchtiger Schmerz.
Sie legte den Kopf schief und gönnte Jahan eine etwas spöttische Musterung. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in diesen Jahren nicht Dinge oder … ähem … Personen gegeben hätte, die durchaus imstande waren, dich auf erheiterndere Gedanken zu bringen.« Eine Menge Personen sogar, wenn sie an den Harem seines Vaters dachte.
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