Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
Und jener von Jahan stand ihm bestimmt nicht nach. Seltsam, dass dieser Gedanke mit einem Mal gar nicht mehr weh tat. Sie spürte diesem Gefühl nach. Wann hatte sie aufgehört, sich über Jahans Heirat zu grämen? War das schon auf Java gewesen? Oder hatte es vielmehr mit Charles zu tun?
Jahans Gesicht verschloss sich. »Harriet, ich weiß, du bist von mir enttäuscht. Und ich verstehe das auch. Aber ich musste diese Frau nehmen. Es ist wichtig, für meine Familie.«
»Ich hörte, dass ihr schon Kinder habt«, erwiderte Harriet.
»Es ist bei deinem Volk nicht anders«, fuhr Jahan fort, zornig, weil er nicht widersprechen konnte.
»Auch ihr heiratet der Familie, des Geldes wegen. Um Macht zu gewinnen!« Er besann sich, holte Luft und mäßigte seinen Tonfall. »Wärst du eine Frau aus meinem Volk, hätte ich dich zu mir geholt, damit du als meine erste und Lieblingsfrau mit mir lebst. So trennen uns jedoch euer Gesetz und eure Tradition.«
Vor allem aber Harriets Einstellung zur Vielehe. Fast musste sie lächeln. Jahan glaubte doch nicht wirklich, sie gäbe sich jemals mit einem Platz unter vielen zufrieden! Bei ihrer Eifersucht?
Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob es sachte an. Harriet, die diese Geste nicht leiden konnte, drehte den Kopf weg.
»Du bist gekränkt.«
»Durchaus nicht, ich verstehe deine Gründe vollkommen.« Sie bemühte sich um einen sachlichen Tonfall, während sie zwei kleine Schritte zur Tür hin machte, um Jahan einen dezenten Hinweis zu geben, dass ihre Zeit beschränkt war. »Ich bin sicher, dass deine Frau dich liebt, und du sie ebenfalls.«
Jahan fasste heftig nach ihrer Hand und zog sie wieder in die Zimmermitte. »Wärst du meine …«
»Du solltest jetzt besser gehen.« Sie lächelte ihn an, um es nicht allzu unhöflich klingen zu lassen. Seine Gegenwart war tatsächlich etwas lästig. Sie hatte dringend die Sache mit Charles zu klären, und dann wollte sie allein sein, um über verschiedene Dinge nachzudenken. Vor allem über den Unterschied zwischen dem leidenschaftlichen Jahan und dem kühlen Charles.
»Habe ich kein Recht, mich hier aufzuhalten?«, fragte Jahan in ihre Gedanken hinein erzürnt. »Mit dir zu sprechen?«
»Doch. Aber …« O Gott, Charles würde ihr fehlen, wenn er sich nicht mehr in ihre Nähe wagte, aus Angst, mit ihr verheiratet zu werden! Das war unerträglich! Ihr Gesicht wurde finster. Charles wollte ohnehin morgen fortreisen! Hätte ihr Vater nicht zumindest bis nach seiner Rückkehr warten können, um diesen unseligen Vorschlag zu machen? Bis dahin hätte sie eine Möglichkeit gehabt, ihm und ihrer Mutter diese verrückte Idee auszureden. Und sie hätte an Charles denken können wie an einen guten Freund und nicht wie an einen flüchtenden Bräutigam.
»Du hast dich einem anderen zugewandt.« Jahans schöne Augen wurden schmal. »Diesem Charles Daugherty. O ja, ich habe gehört, dass er sich um dich bemüht und dass du ihn bevorzugst.«
»Das tue ich keinesfalls!« Harriet wurde wütend. Musste Jahan damit anfangen? Ausgerechnet jetzt, wo sie ohnehin nicht wusste, wie sie Charles jemals wieder unbefangen unter die Augen treten sollte?
»Ich vertraue ihm nicht!«
»Charles Daugherty war immer schon ein netter junger Mann«, erwiderte Harriet abweisend. »Und daran hat sich nichts geändert.« Tatsächlich hatte sich der ganze Mann geändert, aber das ging Jahan nichts an. Und dass »nett« nicht der passende Ausdruck für ihn war, spielte jetzt auch keine Rolle.
»Er hat die Geschäfte seines Vaters übernommen, heißt es.«
»Ja, natürlich. Welcher Sohn würde das nicht tun?« Harriet warf verärgert den Kopf zurück.
Jahans Blick wurde weich. Er sah sie mit liebevoller Nachsicht an. »Nun, es ist ja auch gleichgültig. Wie ich höre, wird er demnächst abreisen. Er ist unwichtig.« Jahan hatte sich wieder über ihre Hand gebeugt, presste heiße Küsse darauf. »Lass uns …«
»Jahan, bitte …«
Energische Schritte. Eine inzwischen sehr vertraute Stimme lieferte sich mit Jahans Leibwächter ein kurzes, scharfes Wortgefecht, und dann wurde die Tür aufgerissen. Harriet schloss die Augen. Ihr Pech wollte heute offenbar kein Ende nehmen.
Man konnte nicht einmal sagen, dass Charles überrascht war, Harriet und Jahan in einer derart intimen Situation vorzufinden. Im Grunde genommen hatte er Ähnliches sogar erwartet, als er Jahans Wachen und das kostbare Pferd bemerkt hatte.
Das war unfassbar! Soeben trug ihm Sir Percival seine
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