Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
ihm unbewusstes, zärtliches Lächeln.
* * *
Sie hatten sich in der Höhe von Puerto Rico von der Red Vanessa getrennt, in einem der Häfen Proviant an Bord genommen und Wasser gebunkert und waren dann weitergereist. Charles hatte Harriet abermals seine Kajüte überlassen, die sie dieses Mal nur mit Lan Meng teilte, da Beth so lange geschluchzt hatte, bis ihr erlaubt worden war, auf der Red Vanessa und bei ihrem Seemann zu bleiben. Harriet konnte ihre Zofe gut verstehen, sie wäre ebenfalls todunglücklich gewesen, hätte man sie gezwungen, sich von Charles zu trennen.
Wann immer das Wetter und der Seegang es zuließen, saß Harriet unter einem fürsorglich gespannten Segeltuch in einer geschützten Ecke des Achterdecks, während Charles daneben stand. Lan Meng hockte während dieser Zeit meistens in der Nähe, um mit Argusaugen abwechselnd Charles, die Mannschaft und vor allem Captain Harding zu beobachten.
Dieser schien ihr ein besonderes Anliegen zu sein. Harriet hatte zuerst angenommen, dass Lan Mengs Aufmerksamkeit auf besonderer Feindseligkeit beruhte, aber als sie einmal ein von Harding initiiertes Segelmanöver mit einem bestätigenden Nicken aufnahm, wusste sie, dass das Interesse ihrer Freundin fachmännischer Natur war. Ähnlich hatte sie auch die Leute auf der Red Vanessa beobachtet. Hier jedoch befand sie sich nicht auf einem schwerfälligen Frachtschiff, sondern auf einer wendigen, schlanken Fregatte, die sich willig in den Wind legte und dahinschoss wie ein Pfeil. Eine wahre Freude für die Tochter eines Piraten, die ihr halbes Leben auf See verbracht hatte.
Und Harriet? Sie war schlichtweg glücklich. Das lag vor allem an Charles, der sie nicht behandelte, als wäre sie ein zwar zahlender, dadurch aber nicht weniger lästiger Passagier, sondern ein höchst willkommener Gast. Nur eines trübte Harriets Vergnügen an der Reise: Es war schwierig, sich unter so vielen Leuten und auf engstem Raum ungestört unterhalten zu können. Daher beschränkten sich die Themen zwischen ihnen beiden auf neutrale Dinge, auch wenn ihr Tonfall zunehmend herzlicher und ihre Stimmen leiser wurden.
Als die Mannschaft jedoch eines Abends auf dem Vordeck mit Genehmigung des Captains feierte und es dabei laut und fröhlich zuging, fand Harriet endlich Gelegenheit, auch persönlichere Dinge mit Charles zu besprechen. Es gab ja schließlich so vieles, das sie von ihm wissen wollte! Wohin er reiste, wenn er Kalkutta wochenlang verließ, welche Erinnerungen er an seine Mutter hatte, was seine Lieblingsspeisen waren und – nicht zuletzt – alles, was Jessica Finnegan betraf. Harriet musste schließlich wissen, was sie in Boston erwartete. Geschickt lenkte sie endlich das Gespräch auf ihren geplanten Besuch bei Vanessa und damit auch auf Jessica.
»Haben Sie sich tatsächlich ihretwegen duelliert?« Sie versuchte, nicht zu drängend oder gar neugierig zu klingen, sondern nur teilnahmsvoll. Wie eine gute Freundin eben, die besorgt nachfragte, und nicht wie eine Frau, die jedes Mal beim Gedanken an diese andere einen eifersüchtigen Stich verspürte.
Charles dagegen behagte dieses Thema gar nicht. Zuerst wollte er abwehren, aber dann erkannte er völlig richtig, dass es hier noch einiges klarzustellen galt, bevor er darangehen konnte, Harriet einen Antrag zu machen.
»Das haben wir tatsächlich. Und ich hatte Glück, dass O’Connor mich nicht erschießen wollte; er ist zweifellos ein guter Schütze.«
»Mutter hat mir von Miss Finnegan geschrieben. Sie mochte sie sehr.« Was nur bedingt der Wahrheit entsprach, denn letztendlich war Lady Dorley heilfroh gewesen, die Verantwortung für diesen schwierigen Gast loszuwerden. »Und sie ist tatsächlich wieder mit dem Piraten heimgefahren?«
Charles zuckte innerlich bei dem leicht kritisch hervorgebrachten »Piraten« zusammen. Jack O’Connor war sicher kein Waisenknabe, aber weitaus weniger ein Pirat als er selbst. »Und gerade rechtzeitig, bevor sie Grund hatte, mich zu hassen«, erwiderte er leichthin.
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand Sie hassen könnte«, entfuhr es Harriet schockiert.
»Sie bringen mir also Sympathie entgegen?« Er beugte sich ein wenig zu ihr. Er sprach leise, seine Stimme übertönte gerade noch das Gelächter, den rauhen Gesang und die gutgelaunten, ausgelassenen Männerstimmen, die vom vorderen Deck zu ihnen nach hinten drangen.
Harriet schluckte, als er plötzlich viel näher stand als noch eine halbe Minute zuvor. Die Luft schien
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