Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
mit einem Mal so schwer, dass sie kaum Atem holen konnte. Sie glaubte, die Wärme seines Körpers zu spüren, und sein eigener, für Harriet inzwischen schon so vertrauter und anziehender Geruch stieg ihr in die Nase. Ihr wurde heiß. Das Kleid klebte plötzlich an ihrem Körper. Sie griff sich an den Hals, weil ihr Herz dort mindestens so heftig schlug wie in ihrer Brust und ihr dabei die Kehle zuschnürte. Eine bereits vertraute Reaktion, wann immer Charles ihr näher als zwei Schritte kam. Und das geschah in letzter Zeit sehr häufig.
»Aber natürlich!« Sie bemühte sich um einen leichten Tonfall, einen unschuldigen Augenaufschlag, der vermutlich gründlich misslang. Aber wie konnte sie, wie konnte irgendjemand Charles nicht mögen? Es war nicht nur seine höfliche, zuvorkommende Art, sondern sein ganzes Wesen, das sie so unwiderstehlich anzog, dass er ihr schon fehlte, wenn sie sich am Abend von ihm verabschiedete, um sich in ihre Kajüte zurückzuziehen. Den einzigen Trost in den langen Nachtstunden fand sie allein in der Vorstellung, dass er ja nur wenige Schritte von ihr entfernt und nur durch eine dünne Bretterwand von ihr getrennt in seiner Hängematte schaukelte. In ihrer Phantasie war sie so manches Mal aus der Tür geschlichen, um …
»Aber nicht genug, um mich zu heiraten?«
Harriet wurde tiefrot, als hätte Charles ihre Gedanken gelesen, die sich soeben mit Dingen beschäftigt hatten, die in ihren Kreisen strikt erst nach der Hochzeit erlaubt waren.
»Sie sind zu … liebenswürdig für mich«, brachte Harriet stotternd hervor.
Er stutzte, dann lachte er kurz auf. »Liebenswürdigkeit oder Freundlichkeit gehören schon lange nicht mehr zu meinen hervorstechendsten Eigenschaften.«
Sein Tonfall und der bittere Zug um seinen Mund ernüchterten sie. »Das sehe ich anders«, sagte sie leise. Ihr Blick glitt über sein vom Schein der Laterne beleuchtetes Gesicht. Seine Züge waren kantiger als früher, aber vielleicht lag es auch daran, dass er stets so beherrscht wirkte. Er sah seinem Vater zum Glück gar nicht ähnlich, sondern kam wohl mehr nach seiner Mutter.
»Wissen Sie, Harriet«, riss Charles’ Stimme sie aus ihren Gedanken, »ich habe in den vergangenen Monaten viel nachgedacht. Und zwar darüber, dass ich mein Glück energischer bei Ihnen hätte versuchen sollen.«
Erst nach einigen Atemzügen hatte Harriet ihre Fassung wiedererlangt. Ihr ganzer Körper war plötzlich wie gelähmt, und zugleich schien alles zu pulsieren.
Er wandte leicht den Kopf, und Harriets Blick glitt ebenfalls zu der kleinen, dunklen Gestalt, die es sich einige Schritte entfernt auf der Reling bequem gemacht hatte, einen Arm um ein Tau geschlungen – man merkte, dass Lan Meng auf einem Schiff groß geworden war.
Als Charles ihren Arm nahm, um sie weiter zum Heck zu führen, folgte sie ihm mit weichen Knien. Dieses Gespräch, oder das, was jetzt auf sie zukam, wollte sie ebenso wenig wie Charles vor Zeugen führen. Jetzt waren sie auch weit genug vom Steuermann und dem wachhabenden Offizier entfernt, der mit vor Müdigkeit roten Augen und sich doch seiner Wichtigkeit bewusst auf dem Achterdeck hin und her schritt.
»Sie schienen damals sehr abgeneigt, den Vorschlag Ihres Vaters aufzugreifen, Harriet.«
»Wundert Sie das?«, brachte Harriet erregt hervor. Sie umklammerte mit der linken Hand die Reling, bis ihre Finger schmerzten, weil ihre Beine mit einem Mal so zitterten, dass sie nachzugeben drohten. »Ich weiß, dass es so üblich ist, Ehen zu arrangieren, aber ich bin …«
»Ihr Vater hatte nicht vor, etwas zu arrangieren«, korrigierte Charles sie sanft. »Meine Besuche hatten in ihm den Eindruck geweckt, dass wir beide schon zu einem gewissen Einverständnis gekommen wären.«
»Was aber nicht der Fall war. Ach, Charles, Vater war doch nur besorgt um meinen Ruf. Ich weiß genau, was geredet wurde. Vater hat Ihre Gutmütigkeit und die Freundschaft, die Sie mir entgegengebracht haben, falsch interpretiert, und …«
»Hat er nicht«, unterbrach Charles sie ruhig. Harriet schnappte nach Luft, und Charles nutzte ihre seltene Sprachlosigkeit, um fortzufahren. »Abgesehen davon fände ich auch nichts gegen arrangierte Ehen einzuwenden. Manchmal …«, er suchte nach Worten, »… lässt man sich zu sehr von seinen Gefühlen leiten, wenn man einen so dauerhaften Bund schließt.«
Harriet starrte ihn durch das Halbdunkel an. »Eine Ehe ohne Gefühle?«
»Nun, Gefühle natürlich.« Er räusperte sich.
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