Die Sehnsucht ist größer
Satz stimmt, den ich vor einigen Tagen geschrieben habe: I’ve new fallen in love to God - and I’m going to celebrate it - kann ich das dann nicht auch hier im Hostal in Logroño feiern? Auf dem Weg bleiben, auch wenn er sich anders gestaltet, als ich es mir vorgestellt habe - ist das nicht auch schon viel?
Und eine andere Frage, die mich heute abend beschäftigt: Wie macht man das eigentlich, pilgern? Sehr spontan würde ich sagen: Mein Herz auf Gott hin ausrichten - und den Weg gehen. Aber dann gäbe es ja auch ein Pilgern mitten im Alltag - hörend sein und bleiben, offen sein, seinem Ruf folgen, loslassen, gehen mit wenig Gepäck, mich an nichts festhalten, bereit sein zum Aufbruch - jeden Tag neu. Pilgern kann nicht heißen, jeden Tag neu ums Überleben zu kämpfen, sondern aus einem Frieden heraus zu lassen und sich neu zu öffnen. Dann aber kann es nicht darum gehen, einfach nur 780 km zu laufen, ein nettes Urlaubserlebnis zu haben - sondern dann geht es darum, eine Haltung und Einstellung einzuüben, die auch im Alltag trägt.
Ich bleibe ein bißchen mißtrauisch - stimmige Gedanken -oder der Versuch, mein vordergründiges Scheitern zu kompensieren?
Jean Vanier schreibt: Unsere Zerbrochenheit ist die Wunde, durch die die ganze Kraft Gottes unser Wesen durchdringen und uns in ihn verwandeln kann. Ja, durch unsere Verletzungen kann die Kraft Gottes uns durchdringen und zu Strömen lebendigen Wassers werden, das die dürre Erde in uns tränkt. Dann können auch wir die dürre Erde unserer Mitmenschen tränken, damit Hoffnung und Liebe neu aufkeimen.
Montag, 2.6.
Logroño, 9.40 Uhr
In der Tourist-Information und am Busbahnhof hatte ich unterschiedliche Abfahrtszeiten für den Bus bekommen, so habe ich mich auf den früheren Bus eingestellt, um dann festzustellen, daß der spätere erst fährt. Na gut - so sitze ich halt in der Bar am Bahnhof, trinke einen Kaffee und schreibe.
Die Bars hier in Spanien haben eine ganz eigene Kultur -hier trifft man sich, hier macht man seine Pause, hier verabredet man sich. Hier geht der Bär ab - oder in »Normaldeutsch« gesagt: Hier lebt das Leben.
Sorge macht mir mein Knie - das hat die Lauferei gestern durch Logroño doch nicht so gut überstanden. Eben habe ich mit meinem Hausarzt in Alzey telefoniert, er hat mich immerhin ein bißchen beruhigt. Was ganz Ernstes könnte es nicht sein, wenn es was mit dem Meniskus zu tun hätte, könnte ich gar nicht mehr laufen. Er geht auch von einer Überanstrengung der Kniebänder aus. Ich soll die Elastikbinde abmachen, schauen, wie es (sich) geht, notfalls pausieren und langsam machen, eventuell eine schmerzstillende Salbe nehmen. Die »Teststrecke« wird damit erstmal gestrichen. Und nach den Beschwerden heute morgen sehe ich eh schwarz für das weitere Wandern. Ist Santiago wieder mal ein Traum, der unerfüllt bleiben soll?
Immerhin erzeugt die Situation auch eine gewisse Kreativität. Heute morgen fragte ich mich plötzlich, warum eigentlich bis nach Burgos in einem Stück durchstechen?
Ich könnte doch in Santo Domingo haltmachen und mir wenigstens Henne und Hahn in der Kirche anschauen. Es würde ja auch durchaus reichen, wenn ich am Dienstag in Burgos ankomme. Und sollte ich wirklich nicht mehr laufen können, dann habe ich eh alle Zeit der Welt, um nach Santiago zu kommen - naja, immerhin viereinhalb Wochen. Also gut, die Entscheidung steht, es geht nach Santo Domingo.
Schön war es, heute morgen beim Aufwachen das ferne Klappern der Störche zu hören und sie über die Stadt fliegen zu sehen. Eigentlich ist es doch seltsam, daß Störche so menschenfreundlich sind und nicht im Wald, sondern auf Kirchtürmen nisten. Und woher mag es wohl kommen, daß ich diese Vögel so sehr mag? Kindheitserinnerungen an Ferien in Schleswig-Holstein?
Santo Domingo de la Calzada, 13.30 Uhr
Nach einigem Hin und Her, die Tourist-Information hat geschlossen, bin ich bei den Zisterzienserinnen gelandet, die hier ein Hostal führen. Hostal - das ist eine offizielle Kategorie, etwas einfacher als ein Hotel, aber durchaus in Ordnung.
Im Moment schüttet es mal wieder, was das Zeug hält. Nun gut, dann schreibe ich eben zuerst die Postkarten und gehe dann in die Kirche. Jedenfalls, und das ist ganz beruhigend, der Rucksack steht im Trockenen.
Santo Domingo, 17.30 Uhr
Die Kathedrale gefällt mir - aber beten kann ich besser in der kleinen Kirche gegenüber, die in dem offiziellen Stadtplan noch nicht mal
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