Die Sehnsucht ist größer
eingezeichnet ist.
Auf dem Weg treffe ich Traute und Isabell, die grad angekommen sind, auf der Suche nach dem Refugio, naß wie junge Katzen. Jede Stunde macht es hier einen kräftigen Schauer runter. Traute hat Probleme mit dem Fuß, gestern seien sie teilweise getrampt, die Wege sind schlammverschmiert und glitschig, teilweise gefährlich zu gehen.
Faszinierend sind diese beiden Hühner in der Kirche ja schon. Das gehört mit zu den Dingen, die man irgendwo liest, sie glaubhaft versichert bekommt - und doch nicht so ganz glauben kann - so wie mit den Störchen auf den Kathedralen.
Sehr berührt hat mich eine Madonnenfigur, die mich gleich als erstes im Kreuzgang erwartet hat, der zur Kirche hineinführt: Maria de la leche, Maria von der Milch: eine sehr zarte, klare Marienfigur, eine Brust ist entblößt, sie hat die Brustwarze zwischen zwei Fingern, um die Milch hervorzupumpen - der kleine Jesus auf ihrem Schoß. Lange stehe ich vor dieser so mütterlichen, sorgenden Darstellung von Mutter und Sohn - und denke mir: Schade, daß diese so natürliche Geste, Maria stillt ihren Sohn, uns in dieser Kirche verlorengegangen ist. Und ich kann mir denken, daß sich viele gute Katholiken verlegen von dieser Darstellung abwenden würden, die ihnen möglicherweise viel zu menschlich wäre, um noch etwas mit Gott zu tun zu haben. Schade, gerade das macht doch die göttliche Solidarität mit uns Menschen aus -Gott wird aus Liebe zu uns Mensch, bis ins Letzte hinein und wir setzen ihn auf einen hohen und fernen Thron - und halten ihn uns damit vom Leib.
Um das Geschenk des Leibes Jesu aufnehmen zu können, müssen wir uns stärker jener Frau zuwenden, die ihn empfangen und zur Welt gebracht hat-Maria. Denn niemand hat wie sie seinen Leib umgeben, seinen Leib berührt, seinen Leib geliebt, seinen Leib gewaschen und seinen Leib verehrt. Der Leib Christi ging aus ihrem Leib hervor, er war die Frucht ihres Schoßes. Ihr Leib nährte seinen Leib: Ihre Brüste gaben ihm Kraft und Nahrung für sein Wachstum; ihre Berührung schützte ihn und gab ihm zu verstehen, daß er geliebt war; ihre Gegenwart ließ ihn vor Freude singen; das Licht in ihren Augen ließ das Licht in seinen Augen erstrahlen.
Santo Domingo, 21.00 Uhr
Wenn man es mir erzählen würde, ich würde es kaum glauben: Heute morgen noch denke ich im Bus, ich laß das jetzt mit der albernen Rumrechnerei, wann ich wo wen gegebenenfalls wiedertreffen könnte, im Hotelbett in Logroño plötzlich die Idee, hier in Santo Domingo Station zu machen - und plötzlich treffe ich all die wieder, die mir bisher auf meinem Weg wichtig geworden sind, die mich begleitet haben. Als ich nach dem letzten Regenschauer die Bar verlasse, stehe ich plötzlich vor Ne-ville. Die Freude auf beiden Seiten ist groß - und es ist fast nicht zu glauben, aber vier Minuten später sitzen wir mal wieder zusammen in einer Kirche, zusammen mit Gérard - Vesper bei den Zisterzienserinnen ist angesagt. Mit keinem andern habe ich bisher soviel Zeit in Kirchen verbracht.
Dann bekomme ich eine Einladung zum Abendessen im Refugio. Gérard ist mit Kochen dran - ich sage gerne zu. Die Vorspeise, Pasta, also Nudeln, kommt von Therese, einer jungen Amerikanerin, die mit ihrem französischen Freund unterwegs ist, und etwas zuviel gekocht hatte. Die beiden habe ich auch schon mehrmals getroffen - das erstemal vor Pamplona, als ich von meinem Knie erzählte, dann in Puente, jetzt hier, wo wir uns das erstemal etwas ausführlicher unterhalten. Beim Abendessen mit den beiden Iren bete ich vor, das hatten wir ja schließlich so in Roncesvalles vereinbart. Das nächstemal ist Gérard dran, weiß der Himmel, wann und wo das sein wird.
Dienstag, 3.6.
Burgos, 11.30Uhr
Im Hotel habe ich den Rucksack abgegeben, das Zimmer, das ich vorbestellt hatte, war auf mich reserviert, aber natürlich um die Uhrzeit noch nicht bezugsfertig - und so schlendere ich nun mit leichtem Gepäck durch die Stadt. Ich habe Geld geholt - und stehe immer noch staunend vor diesem technischen Wunder des Geldautomaten, der mich sogar auf deutsch durch sein Programm führt - und am Ende meine Euroscheckkarte wieder hergibt und 25.000 Peseten noch dazu. Vorsichtshalber, ich traue den Dingen ja nicht so recht, war ich bei einer katholischen Bank - falls was schieflaufen sollte, hätte man ja vielleicht als Santiago-Pilger... ich weiß, es ist absoluter Quatsch, und ich bin schlichtweg hinterwälderisch - aber mach was
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