Die Sehnsucht ist größer
es schon Schlimmeres, ohne daß es im Wanderführer angekündigt war. Aber mir ist es sehr recht...
Hier in Hornillos bin ich im Refugio - das hat einer umgebaut, der was vom Pilgern versteht -, es gibt eine Küche, die zugleich Aufenthaltsraum ist, einen überdachten Wäschetrockenplatz. Im Moment sind wir noch zu sechst, so daß wir viel Raum haben: Therese und Francois, Doris und David, ein französischer Pilger, den ich auch schon einige Male getroffen habe, und ich. Therese und Francois sind hiergeblieben, sie wollten eigentlich noch bis Hontanas, aber Therese hat Beschwerden mit dem Bein. David hat offene Blasen am Fuß - sie wurden vorhin von Hortense, die für das Refugio zuständig ist, sehr liebevoll verarztet.
Hornillos, 17.00 Uhr
Die Kirche ist geschlossen - schade. Als ich um die Ecke gehe, stoße ich auf einen kleinen Friedhof, der vollkommen verwahrlost aussieht, alles ist rot vor Klatschmohn, zwischendrin Geröllhaufen - und doch hat die letzte Beerdigung hier erst im vergangenen Jahr stattgefunden. Von diesem Friedhof geht eine seltsame Atmosphäre aus... - Tod, Stein und Kreuz, vom Leben regelrecht überwuchert.
Hornillos, 18.00 Uhr
Die Lesung heute ist schön: »Als Israel jung war, gewann ich es lieb, ich rief meinen Sohn aus Ägypten. Ich war es, der Efraim gehen lehrte, ich nahm ihn auf meine Arme. Sie aber haben nicht erkannt, daß ich sie heilen wollte. Mit menschlichen Fesseln zog ich sie an mich, mit den Ketten der Liebe. Ich war für sie da wie die Eltern, die den Säugling an ihre Wangen heben. Ich neigte mich ihm zu und gab ihm zu essen« (Hos 11,1.3-4). Mir tut dieses zärtliche, mütterliche Gottesbild gut - und ich fühl mich getröstet und aufgehoben.
Hornillos, 22.00 Uhr
Wir haben uns einen netten Refugioabend gemacht, immer wieder mal zieht ein Gewitter über die Hochfläche hinweg -auch jetzt blitzt und donnert es heftig und ein kräftiger Regenguß kommt herunter. Mich stört es nicht, die Wege waren heute trocken und das Wasser wird schnell versickern. Und ich werde schon drei trockene Stunden abpassen, in denen ich die 10 km bis Hontanas hinkriege, zumal es nach gut der Hälfte des Weges noch eine Schutzhütte gibt.
David hat eine Art von Gemüseeintopf gekocht und mich zum Essen eingeladen, ich habe den Wein und den Käse dazugelegt - und irgend jemand kocht grad immer Kaffee.
Ich bin heute knapp an einem Sonnenbrand vorbeigekommen - das passiert mir auch selten. Aber durch den Wind hat man die Sonne gar nicht so gespürt. Jetzt bin ich doch ganz froh um die »Apres-sun-Creme«, die ich die ganze Zeit schon mitgeschleppt habe.
Hortense kümmert sich rührend um uns. Gleichzeitig wird es zunehmend offizieller, neben dem Pilgerausweis wollte sie auch den »pasaporte« sehen. Einige Grundnahrungsmittel werden gestellt, Milch steht im Kühlschrank, Nudeln sind da, Kaffeepulver, Zucker, Salz,... - das ist wirklich Gastfreundschaft, was wir hier erleben.
Vorhin hat sie uns noch die Kirche aufgeschlossen - und mir ging es wie so oft -, ich verliebe mich in ein Detail, irgendeine Kleinigkeit. Diesmal ist es eine Tür, die offensteht und durch die das Licht hereinfällt. Ich werde mich später wohl an nichts mehr von dieser Kirche erinnern - aber die offene Tür und das Licht, das auf dem Boden spielt, das werde ich nicht vergessen.
Samstag, 7.6.
Castrojeriz, 16.30 Uhr
Jetzt bin ich doch grad selbst überrascht - die 20 km von Hornillos bis hierher gingen besser als gedacht. Es war ein schöner Tag heute - die Landschaft ist faszinierend und die Einsamkeit über Kilometer hinweg ist beeindruckend. Nach der Weite eines solchen Tages tun die Enge und der Lärm in solch einem kleinen und vollen Refugio wie hier fast schon körperlich weh - mir wenigstens.
Wir tranken in Hornillos noch einen gemütlichen Morgenkaffee miteinander und haben uns herzlich voneinander verabschiedet. Ich wollte ja eigentlich nur bis Hontanas - und dann hätten wir uns nicht mehr gesehen. Die ersten Kilometer waren mühsam, das Wasser der Regengüsse war doch nicht weggesickert, sondern hat die Wege wieder in mittlere Schlammstrecken verwandelt. Es war mühsam und anstrengend, die Füße immer wieder aus dem Schlamm herauszuziehen, der zudem zentimeterdick an den Schuhen klebte und das Gehen schwer machte. Ich war als letzte aufgebrochen, sehe einige Zeit noch Therese vor mir gehen, die heute auch alleine läuft - aber dann scheint sie doch etwas leichtfüßiger durch den
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