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Die Sehnsucht ist größer

Die Sehnsucht ist größer

Titel: Die Sehnsucht ist größer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schwarz
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dem »zurück in den Alltag«? Mit all den Veränderungen, all den Erfahrungen? Vielleicht ist das sogar die größte Herausforderung des gesamten Weges - verändert zurück in den Alltag...
     
     

Dienstag, 17.6.
     
     
    Villadangos del Páramo, 16.30 Uhr
    Na, für den ersten Tag lief doch alles überraschend glatt... die 20 Kilometer von León bis hierher gingen sich gut - und die Straßenstrecken und die Industrievororte waren lange nicht so schlimm, wie im Wanderführer beschrieben. Im Gegenteil, ich fand’s gut, aus der Stadt wieder hinauszugehen, sie zu Fuß hinter uns zu lassen. Und mit Christiane zusammen war es okay - es ist ein anderes »zu-zweit-gehen« als mit Martin - ich kann noch nicht beschreiben, was den Unterschied ausmacht. Aber es war so, daß es gehen könnte...
    Heute morgen hatten wir noch einen gemütlichen Kaffee in der Hotelbar - und dann sind wir nach St. Isidor gegangen und haben in dieser schönen Kirche still die Laudes gebetet. Dort habe ich Christiane noch einen Pilgersegen gegeben - sie hatte bisher keinen bekommen. Das war für mich ein dichter Moment - einem anderen in dieser Form Gutes Zusagen. Ob’s liturgisch sauber war, weiß ich nicht - aber das war und ist auf diesen Moment hin auch nicht so interessant. Es hat so gestimmt.
    Ich bin froh, wieder auf dem Weg zu sein. Wohl nicht umsonst habe ich heute dauernd »Go west!« vor mich hingesungen -allmählich interessiert mich wirklich der Text von dem Lied.
     
    19.30 Uhr
    Im Refugio ist eine ausgesprochene Schwätzergruppe beisammen - der 72jährige Ire, der dauernd seine Stories loswerden will, wenn schon mal jemand englisch versteht, der deutsche Oberlehrertyp, der pflichtgemäß wissensdurstig ist, die lebhaften Spanier, die zur Abwechslung aber grad mal schlafen -im Moment gibt es in der Gruppe von Pilgern niemanden, der mich sonderlich interessiert.
    Christiane hat recht - für sie ist das sicher gut, um anzukommen. Jetzt noch interessante Leute im Refugio - das wäre zuviel. Ich habe Achtung vor allen, die sich, aus welchen Gründen auch immer, auf den Weg machen - aber das heißt nicht, daß ich deswegen jeden mögen muß, der auf dem Weg ist. Als ich vorhin die Nachricht von Martin im Gästebuch las, wurde ich ein bißchen traurig. Er hat eine schöne Handschrift - und muß gestern einen interessanten Tag einschließlich Verlaufen erlebt haben. Der Weg scheint für ihn viel bereit zu halten. Ich wünsch und gönn es ihm.
    Ich bin innerlich müde, weniger körperlich. Das eine ist noch nicht verarbeitet in all seiner Intensität, da kommt schon wieder das Neue, das meine ganze Aufmerksamkeit fordert. Und eigentlich trauere ich auch noch ein bißchen. Heute abend wäre eher ein Hotelzimmer ganz allein für mich angesagt - und vielleicht sogar ein paar Tränen. In Refugios ist Weinen schwierig - und manchmal kann man mitten auf dem camino in Streß geraten...
    Christiane lacht sich grad schief - hier in der Bar wurde uns liebevoll eine kleine Vorspeise auf den Tisch gestellt. Ich bin ein bißchen heikel mit dem Essen, durch Anschauen allein war es nicht zu definieren - und so sage ich halt ziemlich vertrauensvoll zu Christiane: »Probier’s mal - und sag mir, ob’s mir schmeckt!«
     
     

Mittwoch/Donnerstag, 18./19.6.
     
     
    Astorga, 3.00 Uhr
    Dieses Refugio hat nichts mehr mit Bergen, Schützen und Bewahren zu tun, wie es der Name »Herberge« möglicherweise nahelegt - es ist ein Szenario. Ich stehe staunend davor, welche unterschiedlichen Geräusche 36 Menschen erzeugen können -und frage mich, wie hier überhaupt jemand schlafen kann. Die Zweier- und Dreier-Stockbetten quietschen fürchterlich — und wenn man sich aufsetzen will, rammt man sich prompt den Kopf an dem Bettgestell über einem.
    Ich habe lange wachgelegen, irgendwann gab es, oh Wunder!, mal eine Schnarch-, Stöhn- und Schnaufpause - da bin ich wohl eingeschlafen. Die mich umgebende Geräuschkulisse habe ich dann in einen mysteriösen, leicht esoterisch angehauchten Traum eingearbeitet: Da gab es plötzlich bewegliche Wände, die sich auf mich zubewegten, weißgekleidete Gestalten, irgendwelche Aufgaben, die es zu lösen galt - ich war dauernd in Bedrängnis.
    Vorhin bin ich raus, um eine Zigarette zu rauchen. Auch im Vorraum hat sich ein Schlaf-Schnarcher installiert, so daß man hier kein Licht machen kann. Und die Tür zum Schlafraum ist geöffnet, ein letzter hilfloser Versuch der Lüftung, so daß sich jetzt auch im Vorraum das Rauchen von

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