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Die Sehnsucht Meines Bruders

Die Sehnsucht Meines Bruders

Titel: Die Sehnsucht Meines Bruders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Waters
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Bett.
    Sie holte mir die Schlüssel und ich ging hinüber zu James, der es sich ganz am hinteren Rand der Terrasse gemütlich gemacht hatte und gedankenverloren die grandiose Landschaft zu seinen Füßen überschaute.
    „Dass wir das alles schon gewandert sind ... Irgendwie erstaunlich, dass man sich zu Fuß so weit fortbewegen zu kann.“, sinnierte er, als ich mich ihm gegenüber auf die aus rohen Brettern gezimmerten Bänke setzte.
    „Im normalen Alltag traut man sich doch alles über zehn Minuten Fußweg nicht mehr zu. Wenn’s hoch kommt. Für alles andere nimmt man das Auto, seien wir doch mal ehrlich. Es sei denn, man geht zwanzig Minuten und nennt es Spaziergang.“
    Wir tranken unser Bier. Wie das erste nach der Anstrengung immer schmeckte! Kühl und erfrischend zischte es die Kehle hinunter. Eines der besten Dinge am Wandern, dachte ich. Der Durst und der Hunger, die alles schmecken ließen, als gäbe es nichts besseres auf der Welt.
    „Die erste Etappe schafft man immer schnell, doch dann addieren deine Knochen die Wege und präsentieren dir die Rechnung.“, stellte ich fest und rieb mir meine Waden, die den heutigen Aufstieg zwar tapfer überstanden hatten, ihn aber auch nicht so einfach wegstecken würden.
    James lachte. „Stimmt, bis sie sich am dritten oder vierten Tag wie durch ein Wunder erholen und alles vergessen zu haben scheinen.“
    Von seiner Unruhe, die er manchmal an den Tag legte, wenn er wieder irgend etwas Verrücktes anstellte, war kaum noch etwas zu spüren. Er schien viel entspannter nach der Anstrengung. Dadurch fühlte natürlich auch ich mich in seiner Nähe viel wohler. Nicht mehr dieses Gefühl, ständig auf einem Drahtseil zu balancieren.
    Ob man dem Frieden trauen konnte, musste sich natürlich noch herausstellen. Aber hier oben weit ab von den Leuten, die mich kannten und von denen der gute Ruf meines Hotels abhing, konnte er ja nicht mehr viel Schaden anrichten mit seinen Mätzchen. Wenn es nicht um meine Existenz ging, war es mir eigentlich ziemlich egal, was die Leute über mich dachten.
    Gemeinsam schauten wir in die Tiefe, aus der wir gekommen waren, und schwiegen eine Weile. Es war zwar heute nicht so klar wie sonst, der Dunst waberte über dem Tal, doch den Kirchturm von Grögen, umgeben von einem Gewirr zum Teil granitgedeckter Dächer konnte ich gut erkennen.
    Plötzlich ertönte seine weiche Stimme. Sie klang wehmütig.
„Ich habe übrigens zu Hause keinen festen Freund, meine große Liebe ist so gut wie verheiratet und hetero. Sagt er jedenfalls.“
„Hey ... ich wollte dir nicht die großen Geständnisse herauslocken, dich nur ein wenig näher kennenlernen.“ Überrascht von soviel ungewohnter Offenheit, schaute ich zu ihm hinüber. Er bewegte sich nicht, blickte gedankenverloren ins Tal. Nur die seidige Haarsträhne zitterte an seiner Schläfe, doch diesmal war kein Wind zu spüren.
So war das also, er war unglücklich verliebt. Das erklärte zumindest seine manchmal so traurigen Augen. Wie jetzt zum Beispiel ... fast ein wenig wund. Ich sah sie zwar nur von der Seite, doch es war nicht zu verkennen.
Seine Unruhe, manchmal regelrechte Überdrehtheit und sein Wunsch, die Umgebung vor den Kopf zu stoßen, waren also wohl darauf zurückzuführen, dass er unglücklich war ... glaubte ich zumindest. Viel Ahnung hatte ich davon nicht, das war mir klar.
Wenn ich es recht besah, so richtig mit Haut und Haaren war ich noch nie verliebt gewesen. Auch nicht in Lisa, was mir Leid tat. Ich hatte schon öfter gedacht, ich könnte ruhig ein wenig mehr für sie empfinden, wo ich doch so gern mit ihr zusammen war.
Sie liebte mich und sie sagte es mir auch hin und wieder. Aber ich hatte diese magischen drei Worte noch nie über die Lippen gebracht. Jetzt ging mir auf, dass ich gar nicht wusste, wie sich das anfühlte, verliebt zu sein. Und ich ahnte, dass mein Leben so auch nicht komplett war, ohne zu wissen, wie es war, zu lieben. Wenn ich nun dazu gar nicht fähig war ... ?
Neid ... fühlte sich tatsächlich ein wenig an wie Neid, was mir vorhin bei seinen Worten einen kleinen Stich versetzt hatte. Schon irgendwie krank, ich meine, neidisch auf jemanden mit Liebeskummer zu sein.
„Ansonsten ist eigentlich nicht viel zu erzählen über mein Leben.“, fuhr James langsam fort. „Ich gehe zur Arbeit, wie jedermann, danach ein paar Runden Schwimmen und dann Tanzen oder Liebe machen oder beides. Früh ins Bett, weil ja am nächsten Morgen das Ganze von vorne losgeht. Meine

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