Die Sehnsucht Meines Bruders
Liebhaber bringe ich übrigens inzwischen in meine eigene Wohnung, wenn du das wissen willst ... Robert weiß zwar davon, aber ich konfrontiere ihn nicht damit. Mein Verhältnis zu ihm ist nicht mehr so eng wie am Anfang. Ich glaube, so eng wie seine Verbindung zu dir war es auch nie, nur um das mal klar zu stellen. Für mich war es damals natürlich trotzdem der Himmel auf Erden bei euch. Ein um Längen wärmeres Nest als das Londoner Waisenhaus, aus dem ich geflohen war. Auch wenn ich nicht darum gebeten habe, dass Robert mich aufliest.“
„Hat Robert eigentlich je deine richtigen Eltern gefunden?“
„Meine Mutter ja, sie ist kurz nach meiner Geburt und Ablieferung im Waisenhaus an einer Lungenentzündung gestorben. Meinen Vater kennt niemand.“
„Tut mir echt Leid für dich.“
„Tja ... muss es eigentlich nicht. Was man nicht kennt, kann man nicht vermissen. War das einzige Leben, das ich kannte, und hatte auch einiges für sich. Diese grenzenlose Freiheit zum Beispiel, vor allem nachdem ich aus dem Heim ausgerissen bin. Man wusste immer genau, was man wann und weshalb zu tun hatte. Schließlich ging es ums Überleben. Man hatte jeden Tag dafür zu sorgen, etwas zu Beißen aufzutreiben und auch einen relativ sicheren Schlafplatz ...“ Er lachte mit einer gehörigen Portion Verbitterung in der Stimme. „... bei Androhung der Todesstrafe.“
Doch dann sprach er weiter. „Die Qual der Wahl, diese Unsicherheit, was man den ganzen Tag lang tun soll oder zumindest was man zuerst tun sollte ... all diese Prioritäten wurden ja plötzlich von für mich unbekannten Wertvorstellungen und nicht mehr vom reinen Überleben diktiert. Dass so etwas ein Problem werden kann, habe ich erst später bei euch kennen gelernt. Im Nachhinein weiß ich natürlich, wie viel schöner es hätte sein können, so aufzuwachsen wie du.“
„Du vergisst, dass auch ich meine Mutter verloren habe, und ich habe sie gut kannengelernt. Ich vermisse sie manchmal immer noch. Auch wenn ihre Gesichtszüge ziemlich verblasst sind, ich kann mich noch gut an den ganz besonderen Duft ihrer Haut erinnern. Die Wärme in ihren Armen. So etwas vergisst man nicht. Hat eine ganze Weile sehr weh getan, als sie starb. Autounfall, ging ganz schnell. Für sie war das wahrscheinlich gut, sie wäre sonst schrecklich verstümmelt gewesen. Für mich war es ein Schock. Doch nach und nach wurde es besser. Robert hat sich alle Mühe gegeben, sie mir zu ersetzten.“
„Deshalb wart ihr so eng verbunden.“
Glücklicherweise blieb alles so harmonisch, wie es begonnen hatte. Wir saßen noch lange schweigend da, tranken Bier, aßen Tiroler Speck und Bauernbrot und beobachteten den Sonnenuntergang im Tal. Bis sich die letzten rosaroten Spitzen der bizarren Berggipfel hinter uns erst in ein zartes Aubergine und dann in tiefes Nachtblau hüllten, und die Sterne erst blass dann immer funkelnder vom Firmament leuchteten.
Die ganze Zeit jedoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass da noch mehr war. James war so still, als hätte er Mühe, etwas zu verdauen. Schließlich fragte ich ihn geradeheraus, ob er mir vielleicht bei seiner Erzählung etwas verschwiegen hätte.
Eine Weile lang saß er nur da und rührte sich nicht. Dann antwortete er mir schließlich doch. „Ja“, sagte er leise. „Du hast es also gemerkt.“
„Eine Sache oder mehrere?“
„Eineinhalb.“ Er lächelte schief.
„Also gut.“ Zu meiner eigenen Überraschung hoffte ich, es würde uns mit der Zeit gelingen, genug Vertrauen aufzubauen, um auch über die wirklich schwierigen Dinge zu sprechen.
Über die Verwendung des Bettes bekamen wir uns dann doch noch ein wenig in die Haare, schließlich gab er auf, und ich machte es mir in meinem Schlafsack gemütlich.
* * *
Hmm ... war das wundervoll! Restlos erfüllender, langsamer und ziemlich versauter Sex. Ein Blues im Bett, der unter die Haut ging, der einen restlos erschöpfte. Mit einer wunderschönen Frau. Nicht Lisa, nein, trotzdem hatte ich überhaupt keine Gewissensbisse, sie mit dieser Frau zu betrügen, die mir so vertraut war wie mein eigener Körper. Nach unserem ersten gemeinsamen Orgasmus war ich schon wieder geil. Ich fühlte sie, wie weich und glatt ihre Haut war, wie gut sie duftete ... doch das Licht ... das Licht störte mich. Es kitzelte ...
Ich schlug die Augen auf ... und war enttäuscht. Alles nur ein Traum. Obwohl ... meine Nase versank in goldenen duftenden Locken, meine Hand streichelte die seidenweiche Haut eines Rückens ... ich
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