Die Sehnsucht Meines Bruders
sickerte aus einer Wunde auf seiner Stirn. Wie der Luchs, dachte ich.
Und das war der Moment, in dem es dunkel wurde um mich herum.
Als sich das Dunkel wieder lichtete, hörte ich Rotorblätter schwirren und fühlte das Ruckeln der Luftturbulenzen.
Ich öffnete vorsichtig die Augen. Alles, was ich sah, war eine Rückbank und James‘ Hosenbeine neben mir.
Ich lag in einem Hubschrauber auf dem Boden, festgeschnallt auf einer Pritsche und James war bei mir. Alles war in Ordnung ... James lebte. Beruhigt glitt ich wieder zurück in die Bewusstlosigkeit.
Zwölf
Das erste, was ich spürte, war dieser beißende Geruch nach Desinfektionsmitteln und den Ausdünstungen leidender Menschen. Gedämpftes Tageslicht drang durch meine geschlossenen Lider.
„Ich glaube, jetzt kommt er zu sich. Er hat gezuckt!“ Hörte ich Lisa jubilieren.
Ich hatte gezuckt? ... au ... ja genau, ich hatte gezuckt, irgendwas tat scheußlich weh. Doch es hatte keinen Zweck, ein Zurück gab es nicht. Ich würde die Sache wohl bei vollem Bewusstsein durchstehen müssen. Widerwillig schlug ich die Augen auf.
Das weibliche links, das männliche rechts. Zwei Gesichter hingen über mir, so dass ich einen guten Einblick in ihre Nasenlöcher bekam. Alle vier waren sauber.
„Er ist wach!“ Natürlich war es Lisa, die das Wort führte. „Wie geht es dir, mein großer starker Krieger?“
„Hab Schmerzen“, murmelte ich.
„Na, das Brummen hat er nicht verlernt. Ist schon mal ein gutes, nein was sage ich? Ein überragendes Zeichen!“, rief sie freudig, James auf die Schulter klopfend. „Das hätten wir geschafft.“
„Wir? Ich hör‘ immer wir.“, brummte ich, die Schmerzen trugen nicht gerade zu meiner guten Morgenlaune bei ... es war doch Morgen, oder? „Was hast du denn dazu beigetragen, dass ich wieder aufgewacht bin, he?“
„Wir haben dich aufopfernd gepflegt, Jim und ich. Nicht wahr, Jimmy? Die ganze Nacht und den ganzen Tag haben wir brav an deinem Bett gesessen und dir alle paar halbe Stunden die Kissen gerichtet, die Stirn gekühlt, die Hand gestreichelt, was man halt so an einem Krankenbett macht. Blumen und Pralinen haben wir auch mitgebracht. Wir waren mustergültige Krankenbesucher.“ Ihre Augen blitzten in gespieltem Stolz.
Es war also nicht Morgen sondern Abend. Na so was, da hatte ich mich ganz unbemerkt zum Abendmuffel gemausert. Hoffentlich wurde das nicht zur Gewohnheit. Was musste man nicht alles in Kauf nehmen, wenn man so ganz das Gefühl für das Hier und Jetzt verlor. „James, wenn Lisa schon kein Erbarmen mit mir hat, sag du mir wenigstens, ob ich ab heute als Krüppel durch die Welt laufen muss.“
Er kam zu mir, nahm meine Hand und küsste mich erst einmal gründlich. Erschreckt schaute ich zu Lisa hinüber, aber die schien sich nichts weiter daraus zu machen.
„Du hast viel Glück gehabt.“, stellte James fest. „Die Wunde im Bein ist ein glatter Durchschuss und auch der Schulter geht es einigermaßen. Die Kugel hat eine ganze Menge Nerven und Blutgefäße gehimmelt und dein Schulterblatt hinten abgesplittert, als sie wieder ausgetreten ist. Da ist natürlich eine ziemlich große Wunde entstanden, von der die Ärzte noch nicht wissen, wie es wird. Die Makellosigkeit deines schönen muskulösen Rückens ist natürlich ruiniert, damit wirst du dich wohl abfinden müssen.“ Er lachte. Ein klein wenig gekünstelt? Die Augen wollten nicht so recht mitmachen. Wahrscheinlich sah es nicht ganz so rosig mit dieser Wunde aus, wie er mich glauben machen wollte.
„Aber keine bange“, fuhr er jetzt fort. „Sie haben alles wieder hübsch zusammengenäht. Der Arzt meinte, außer einer ganzen Weile Schmerzen und ein paar richtig wilder Narben wird nicht viel zurückbleiben.“
„Wollen es hoffen.“ Ich konnte ja jetzt doch nichts weiter tun.
Lisa nahm James beiseite, die beiden tuschelten verschwörerisch.
„Na, ihr scheint euch ja wunderbar zu verstehen.“, stellte ich fest. Überraschen würde mich hier heute nichts mehr. Doch da sollte ich mich irren.
Sie schauten sich triumphierend in die Augen, bevor sie sich mir wieder zuwendeten. Lisa setzte sich auf den Rand meines Bettes und gab mir einen kleinen Kuss. „Jim hat mir alles erzählt, und da kann ich euch ja nur beglückwünschen ...“ Die letzten Worte klangen ein Bisschen leise, sie nahm sich aber schnell zusammen und fuhr so fröhlich fort, wie sie begonnen hatte: „Was bleibt mir auch anderes übrig? Schließlich liebe ich dich, mein Schatz, und das wird auch
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