Die Sehnsucht Meines Bruders
für eine Wanderung ins Hochgebirge gewesen wären. Außerdem hatten wir wohlweislich wirklich nur das notwendigste mitgenommen und da waren Nahrungspäckchen und Wasserflaschen natürlich wesentlich wichtiger als eine Kamera.
Ich gab ihm das Fernrohr. „Also habe ich mich damals doch nicht geirrt, hier oben lebt tatsächlich ein Luchs!“ Ich konnte es nicht fassen. In freier Wildbahn hatte ich noch nie einen gesehen. Er musste aus einem der Auswilderungsprogramme stammen.
Als James mir schließlich das Glas wiedergab, betrachtete ich ihn genauer. Die dicken weichen Pfoten, die kurze Nase, die schwarzen Pinsel an den Ohren. Die glühenden Katzenaugen, die hin und wieder aufblitzten und der gefleckte kraftvolle Körper, der sich jetzt entspannt wie hingegossen der unregelmäßigen Unterlage anpasste ... der Luchs wirkte geradezu majestätisch, wie er da hoch oben über dem Tal thronte.
Wir setzten uns vorsichtig hin und beobachteten ihn. Er hatte anscheinend noch kein Weibchen gefunden, denn ein zweiter Luchs ließ sich nicht blicken. Aber die schönen Tiere waren ja sowieso Einzelgänger, fiel mir ein, also musste das nichts heißen. Vielleicht hatte er seit meinem letzten Besuch vor zwei Jahren schon so einige Nachkommen gezeugt. Hoffte ich jedenfalls.
Schweren Herzens entschlossen wir uns schließlich umzukehren. Wir durften uns nicht von der Dunkelheit überraschen lassen. Taschenlampen hatten wir zwar mit, aber der Weg zurück zum Plateau wäre doch nur sehr schwer zu finden gewesen. Vielleicht hatten wir ja Glück und wir trafen den Luchs in den kommenden Tagen noch einmal wieder.
In dieser Nacht liebte ich James mit all der stillen Verzweifelung, die seine Erzählung in mir ausgelöst hatte. Ich streichelte und leckte jeden Zentimeter seiner unbeschreiblich seidigen Haut, als wollte ich die Spuren, die mein Vater auf ihr hinterlassen hatte, ein für alle mal tilgen. Schließlich glänzte er vor Nässe, den Spuren meiner Zunge, und zitterte vor Verlangen unter meinen Berührungen.
Ich schob mich über ihn und drang vorsichtig in ihn ein, nahm ihn zärtlich in den Arm und sah ihm die ganze Zeit über in die Augen, während ich mit ihm schlief. Ich ließ mir Zeit, streichelte ihn und massierte sanft die zarte Haut seines Gliedes. Mit langen, langsamen Stößen liebte ich ihn. Und dann sah ich, wie er weinte – ohne einen Laut. Nur die Tränen rannen aus seinen Augen, die meinen Blick voller Liebe und Vertrauen festhielten.
Ich küsste ihn und er kam in meiner Hand, während er noch immer weinte und während ich still meinen Samen in ihn hineinfließen ließ.
* * *
Am nächsten Morgen brachen wir früh im Morgengrauen auf. James hatte beinahe seine alte Form wiedergewonnen und spürte kaum noch etwas von seiner Schwäche. Auch seine Wunde sah sehr gut aus. Inzwischen reichte ein kleiner Verband, den ich an seiner Stirn festklebte.
Wie gesagt, waren wir sehr früh aufgestanden, vor allem weil wir beide hofften, um diese Zeit dem Luchs noch am ehesten zu begegnen. Er ist ein Nachttier und würde wenn, dann am abends oder eben morgens ganz früh zu beobachten sein, glaubte ich jedenfalls. Ich ärgerte mich, dass ich mich nicht genauer erkundigt hatte. Dichter Nebel wallte uns um die Füße, als wir uns leise und vorsichtig in der Gegend umsahen, wo wir ihn gestern gesehen hatten.
Drei Stunden waren wir bereits unterwegs und immer noch war kein Vogel zu hören. Die Welt um uns herum war geradezu gespenstisch still, als hielte die Natur den Atem an. Selbst der See lag bleiern unter uns, von den Schleiern einzelner Nebelfetzen teilweise verhüllt.
Da ertönte ein leises Geräusch. Blitzschnell und so lautlos wie möglich ließen wir uns auf den Boden hinunter und schoben uns vorsichtig bäuchlings unter die Äste des Gebüsches vor uns. Nun konnten wir, wenn der Nebel sich hin und wieder teilte, eine weite Lichtung überblicken, in dessen Hintergrund, etwa hundert Meter von uns entfernt, tatsächlich der Luchs über seiner Beute lag.
Er musste sich sehr sicher fühlen. Ich wunderte mich, dass er uns nicht bemerkte. Allerdings war es auch völlig windstill, und der Nebel erstickte jedes Geräusch.
Es war anscheinend ein kleines Kaninchen, dessen knackende Knochen uns auf ihn aufmerksam gemacht hatten. Wir blieben ganz still in unserem Versteck und hielten den Atem an. Er riss ganze Stücke von seiner Beute und kaute dann wie eine Katze, den Kopf seitlich haltend, schmatzend und genüsslich hin und wieder
Weitere Kostenlose Bücher