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Die Sehnsucht Meines Bruders

Die Sehnsucht Meines Bruders

Titel: Die Sehnsucht Meines Bruders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Waters
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außen hin von ihm befreien. Jetzt ist das Haus zwar nicht schuldenfrei, aber Robert habe ich restlos ausbezahlt. Mein Hotel hängt in keinem Punkt mehr mit der Tyninger-Kette zusammen, auch nicht in Aufmachung und Werbung.“
„Gut, dann kann ich ja beruhigt zu dir ziehen. Die Schweiz ist mir sowieso nicht mehr das gelobte Land, als das ich sie gesehen habe, als ich mit Robert her kam. Solange er dort ist, ist sie für mich zu eng.“
Er konnte schon wieder lächeln, und das machte mich glücklich. Aber wir würden wohl beide noch Zeit brauchen, bis wir alles gemeinsam verarbeitet hatten.
Eine Weile schwiegen wir und lauschten auf die bunt tönende Stille um uns herum. Ein kleiner blauer Schmetterling ließ sich auf James Bergschuh nieder und flog erst auf, als zwei Eichhörnchen in blinder Verfolgungsjagd ein paar Meter weiter an uns vorbei rasten, sich einholten und in einem wilden Knäuel von buschigen Schwänzen umeinander purzelten, bevor sie den nächsten Baum hinauf flitzten.
„Ich bin froh, dass du mir das alles erzählt hast. Dass du das Vertrauen zu mir hast. Ich hätte es nicht ertragen, wenn du diese grausamen Dinge heimlich mit dir herumgeschleppt hättest. Es hätte sich doch immer bemerkbar gemacht, in kleinen Dingen, in kurzen Momenten vielleicht nur, doch ich hätte mir Sorgen gemacht um dich, ohne zu wissen, was ich tun könnte, um dir zu helfen. Es ist besser, den Grund zu kennen, auch wenn es schrecklich ist.“
Er streichelte mich sanft, sagte aber nichts.
Nach einer Weile fuhr ich fort: „Wenn du nicht so hartnäckig gewesen wärst ... ich danke dir, dass du trotz allem an mir dran geblieben bist. Hast du nie befürchtet, ich könne sein wie er? Schließlich bin ich sein Sohn.“
James sah mir in die Augen und lächelte. „Das hätte ich gespürt. Du bist ganz anders, verletzlich unter deiner harten Schale.“
Ich schüttelte den Kopf. „Wenn ich mir vorstelle, dass du damals auch mir den Rücken gekehrt hättest, für immer verschwunden wärst ... “
Da fiel mir noch etwas ein. „Weshalb du dich nie gewehrt hast, ist mir inzwischen aufgegangen, aber warum hast du mich ständig dermaßen in Rage gebracht? Wahrscheinlich hätte ich von mir aus gar nicht angefangen.“
Er grinste. „Genau, du hättest nicht angefangen, aber mir war es lieber, du behandelst mich mies, als dass du mich links liegen lässt. Ich wollte dich aus der Reserve locken, wollte, dass du dich mit mir auf welche Art auch immer befassen musst.“
Ich riss die Augen auf, überrascht von soviel Mut, nein Tollkühnheit. Wenn ich überlegte, was alles hätte passieren können ... „Du hast dich tatsächlich lieber von mir verprügeln lassen?“
„Besser als gar nicht beachtet zu werden.“ Sein Grinsen verrutschte und die alte wunde Traurigkeit trat für einen Moment wieder in seine schönen Augen. Also hatte sie immer schon mir gegolten, und ich hatte es nicht mal geahnt.
Ich zog ihn zu mir herunter. Wir küssten uns lange und ein wenig verzweifelt. Wie viel Zeit wir damit vergeudet hatten, einander wie Katz und Maus zu umkreisen! Was für ein Vollidiot ich gewesen war. Sah das Glück nicht, das mir die ganze Zeit auf der Nase herum tanzte. Aber vielleicht war ich auch erst jetzt reif dafür, den Wert des Glückes und der Liebe so recht zu begreifen. * * *
    Es war schon spät, als wir den Rückweg antraten. Wir umrundeten gerade ein zwischen hohen, vereinzelten Tannen wucherndes Gebüsch, das plötzlich einen grandiosen Blick auf ein paar steile Felsenklippen freigab. Die Sonne senkte sich bereits auf die gegenüberliegende Talwand herab und ihre letzten fast waagerechten Strahlen blendeten uns. Instinktiv blieben wir stehen und plötzlich legte mir James eine Hand über den Mund und zog mich hinter die Büsche zurück.
    „Ein Luchs!“, flüsterte er aufgeregt an meinem Ohr. Dann ließ er mich los und wies in die Richtung, die er meinte. „Dort drüben auf den Klippen, auf einem Vorsprung ... auf dieser Felsnadel dort.“ Er deutete auf das obere Drittel der Klippen vor uns.
    Mit fliegenden Fingern nahm ich mein Fernglas heraus und legte es an. Seine scharfen Augen hatten sich nicht getäuscht. Nur etwa zweihundert Meter weiter lag ein Luchs und blinzelte in die letzten rosiggoldenen Strahlen der Sonne. Völlig entspannt lag er da, anscheinend satt und zufrieden mit sich und der Welt.
    Schade, dass ich keine Kamera dabei hatte. Digitalkameras waren damals noch nicht so weit, dass sie klein und leistungsfähig genug

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