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Die Sehnsucht Meines Bruders

Die Sehnsucht Meines Bruders

Titel: Die Sehnsucht Meines Bruders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Waters
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vollständig, die unergründlichen grün schimmernden Tiefen unter mir. Doch das Wasser trug mich sicher über sie hinweg.
Schließlich zog ich aus, nahm keinen Pfennig mehr von ihm an. Ab diesem Zeitpunkt waren wir quitt. Ich hatte ihm mit meinem Körper und meiner Seele bezahlt, was er für mich getan hatte. Mit einem Fingerschnippen zerstörte er alles, was mir wichtig war. Die Geborgenheit einer Familie und das Vertrauen, Wärme und Zuneigung rückhaltlos zu genießen. Es dauerte lange, bis ich darüber hinweg kam und wieder mit jemandem schlafen konnte. Doch ich war frei. Schuldete Robert nicht mehr den geringsten Dank.
Diese Freiheit, du kannst dir nicht vorstellen, wie köstlich sie war. Fast wie damals, als ich aus dem Waisenhaus abgehauen bin. Ich hab es dir nicht gesagt, aber ich arbeite nicht in einem seiner Hotels, sondern in einem schönen traditionsreichen Haus in Luzern.
Dennoch habe ich losen Kontakt zu Robert gehalten. Zum Teil aus Stolz, damit er mir nicht anmerkte, wie sehr er mich verletzt hatte. Um meine Selbstachtung wieder zu erlangen, verstehst du? Man hält soviel mehr aus, als man denkt ...
Vor allem habe ich mich aber deshalb wieder bei ihm gemeldet, weil ich dich nicht ganz verlieren wollte. Nur über Robert hatte ich die Chance, dein Bruder zu bleiben, dich hin und wieder wenigstens kurz zu sehen. Daher telefonierte ich nach einer Weile wieder mit ihm. Wir trafen uns manchmal zum Essen, mehr nicht. Und wenn du dann doch mal für ein paar Stunden einflogst, hat er mich tatsächlich immer dazu gebeten.“
„Wohl um die Gesprächspausen nicht zu lang werden zu lassen.“, sagte ich, inzwischen so völlig verbittert, dass ich kaum Luft bekam. Wie hatte mir das alles bloß verborgen bleiben können?
„Ich hätte mich hin und wieder bei dir melden müssen, hätte mich erkundigen müssen, wie es dir geht. Schließlich waren wir trotz allem Brüder. Wenn ich nur etwas geahnt hätte! Wie konnte er dir das antun? So viel Grausamkeit hätte ich ihm nicht zugetraut. Ihm muss doch bewusst gewesen sein, dass er damit alles zerstörte.“
„Vielleicht wollte er das sogar. Er sah, dass ich mit Christian schlief. Aber er wollte mich nicht teilen. Wenn er mich schon nicht behalten konnte, dann wollte er mich wenigstens für eine Weile mit Haut und Haaren, verstehst du?“
Ich nickte, gelähmt vor Entsetzen.
Elf
    „Deswegen hast du nicht viel dazu gesagt, als ich davon sprach zusammenzubleiben.“ Es war später Nachmittag, und wir lagerten zu Füßen der riesigen Fichten und Kiefern, die das Tal mit dem eisblauen See tief unten umstanden. Hier herrschte ein für diese Höhe sehr warmes Mikroklima.
    Hummeln summten in gelben Enzianblüten, Vögel sangen und die Sonne schickte dunstige Strahlen durch Lücken im Wipfeldach. Irgendwo hämmerte ein Specht. Der goldene, herbe Duft des von der Sonne erwärmten Harzes erfüllte die Luft.
    „Ich wusste ja nicht, wie du auf das reagieren würdest, was ich dir zu sagen hatte.“
„Wie hätte ich denn reagieren sollen?“, fuhr ich auf. „Ich bin entsetzt und beschämt, dass es mein Vater war, der dir so etwas Schreckliches angetan hat.“
„Es ist nicht einfach, so etwas zu akzeptieren, schon gar nicht, wenn es um den eigenen Vater geht. Du hättest die Augen vor der Wahrheit verschließen können, auch wenn du mir vielleicht tief im Inneren geglaubt hättest.“, sagte James ruhig.
Ich war beschämt. Er hatte Recht. Ich musste die Möglichkeit einräumen, dass ich vor wenigen Jahren vielleicht noch so reagiert hätte. Aber ganz bestimmt nur im ersten Moment. Dann hätte ich versucht, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich sagte es ihm.
„So ein schrecklicher Verdacht hätte mir auch früher keine Ruhe gelassen. Verdrängungskünstler hin oder her. Ich hätte dir ganz sicher geholfen. Aber gestern habe ich nicht einen Augenblick an etwas anderes gedacht als an dich und das, was du durchmachen musstest. Er ist ein Monster, James, das ist mir jetzt klar.“
Ich legte den Kopf in seinen Schoß. Sein warmer, mir bereits so vertrauter Duft umfing mich.
„Vielleicht habe ich seine Kälte schon früher gespürt. Spätestens aber, als er mich nach Bozen schickte, war für mich alles vorbei. Meine Gefühle für ihn sind mit der Zeit erloschen. Vielleicht ist er für mich immer noch mein Vater geblieben, tief im Inneren ... bis jetzt.
Aber ich habe ihm nach und nach alles zurückgezahlt, was er mir für den Aufbau meines Hotels gegeben hat. Ich wollte mich auch nach

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