Die Seidenbaronin (German Edition)
stellen zunächst die junge Dame zufrieden. Tun Sie mir den Gefallen und gewähren ihr, worum sie gebeten hat. Schließlich verarbeiten Sie auch meine Stoffe, und ich hätte nichts dagegen, dass mein Name in der adeligen Gesellschaft von Darmstadt bekannt wird. Wollen wir inzwischen etwas essen gehen, von Ostry? Ich verspüre plötzlich ein enormes Hungergefühl. Sie können uns doch sicher ein gutes Wirtshaus empfehlen, nicht wahr, mein lieber Brodermann?»
Kapitel 4
Paulina richtete sich mit klopfendem Herzen aus ihrem tiefen Knicks auf und sah sich einer eindrucksvollen Dame gegenüber, die sie interessiert betrachtete.
Prinzessin Marie von Hessen-Darmstadt war eine füllige Frau mit Doppelkinn, schelmisch blitzenden Augen und einem warmherzigen Lächeln. Sie wurde vom Volk auch liebevoll Prinzessin George genannt, nach ihrem verstorbenen Mann Prinz Georg, dem Bruder des regierenden Landgrafen Ludwig von Hessen-Darmstadt. Seit dem Tod von Ludwigs Frau, der berühmten Großen Landgräfin, hatte Marie die Repräsentation des Hofes übernommen, da Ludwig es vorzog, bei seiner Garnison in Pirmasens zu residieren.
«Eine nette kleine Person, die Sie da mitgebracht haben, meine liebe Charlotte», meinte die Prinzessin zur Gräfin Bahro gewandt. «Sehr hübsch, wirklich. Ihre Großnichte, sagen Sie? Von Gralitz … irgendwoher kenne ich diesen Namen, aber ich kann mich nicht daran erinnern, ihn hier in Darmstadt gehört zu haben.»
«Paulina ist eine Urenkelin des Reichsbarons Bernhard von Gralitz-Boltenhusen», erklärte die Gräfin Bahro schnell. «Alter mecklenburgischer Ritteradel. Das Geschlecht lässt sich bis ins 11. Jahrhundert zurückverfolgen.»
«Wenn das so ist», sagte die Prinzessin, «wünsche ich, dass Ihre Großnichte an meinem Tisch und nicht an dem der Ehrendamen im Nebenzimmer sitzt. Die Nachfahrin eines Ritters, noch dazu aus der Heimat meiner Enkelinnen, wird eine Bereicherung für meine Tafel sein.» Sie drehte sich zu einem Herrn um, der schräg hinter ihr stand. «Graf Gondern, richten Sie es ein, dass Fräulein von Gralitz einen Platz an meiner Tafel erhält!»
Ein erstauntes Raunen ging durch die Gruppe der versammelten Höflinge. Man steckte aufgeregt die Köpfe zusammen, und manch einer runzelte empört die Augenbrauen.
«Wenn Sie mir eine Bemerkung erlauben, Hoheit», sagte die Gräfin Bahro. «Meine Großnichte ist den gesellschaftlichen Umgang nicht gewöhnt.»
Prinzessin George schmunzelte. «Dann wird sie es lernen. Dies ist schließlich kein hochoffizieller Empfang, sondern ein Souper im kleinen Kreis. Hier geht es nicht so förmlich zu wie am kurfürstlichen Hof von Hannover, meine Liebe. Es wird mir eine Ehre sein, die junge Dame an meinem Tisch begrüßen zu dürfen.»
Als sie außer Hörweite der Prinzessin waren, zog die Gräfin Bahro das junge Mädchen in eine Ecke des Salons.
«Sprich nur, wenn du angeredet wirst», flüsterte sie Paulina aufgeregt zu. «Und erwähne um Himmels willen deinen unglückseligen Großvater nicht!»
Paulina nickte verwirrt. Sie verstand nicht, warum ihre Großtante sie erst so angepriesen hatte und nun regelrecht beunruhigt darüber schien, dass sie an den Tisch der Prinzessin gebeten worden war. Hatte es mit den merkwürdigen Gerüchten um ihren Großvater zu tun? Was hatte der alte Baron Dornfeld verbrochen, dass man die Verwandtschaft mit ihm am besten leugnete?
Nun, es wäre Paulina sowieso peinlich gewesen, über ihre armselige Herkunft sprechen zu müssen. «Keine Sorge, Madame», sagte sie also leichthin. «Der Name Dornfeld wird nicht über meine Lippen kommen. Mein Großvater ist wahrlich kein Mensch, dessen Enkelin zu sein man sich rühmen könnte. Das habe ich längst begriffen.»
Während ihre Großtante sie mit weiteren Verhaltensmaßregeln bedachte, fiel Paulinas Blick auf drei junge Mädchen, die im Gefolge der Hausherrin standen. Es musste sich um die Enkelinnen Ihrer Hoheit handeln. Die Mutter der Mädchen war Prinzessin Georges Tochter Friederike, die einen mecklenburgischen Herzog geheiratet hatte. Nachdem Friederike vor ein paar Jahren verstorben war, hatte der Herzog Prinzessin George mit der Erziehung seiner Töchter betraut, und sie waren von Hannover nach Darmstadt gekommen.
Die Älteste der drei war etwa in Paulinas Alter und hatte ein madonnenhaftes Gesicht mit auffallend ernsten, fast mürrischen Zügen. Wenn ein Gast das Wort an sie richtete, begegnete sie ihm mit an Arroganz grenzender Gleichgültigkeit und
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