Die Seidenbaronin (German Edition)
Das Mädchen entstammt einem uralten Rittergeschlecht und ist außerdem die Großnichte der Gräfin.»
«Die Großnichte der Gräfin …!» Eifriges Getuschel setzte ein.
Paulina wurde es abwechselnd heiß und kalt. Solange man sie für den Sprössling einer mecklenburgischen Ritterfamilie hielt, würde sie hoffentlich nicht mit dem Baron Dornfeld in Zusammenhang gebracht werden.
«Die Gräfin Bahro lebt meines Wissens am kurfürstlichen Hof von Hannover», meinte die Gräfin Vorholzen. «Aber stammt sie nicht ursprünglich aus Darmstadt?»
«Ja, sie ist eine geborene von Allenhofen», antwortete die Dame im hellblauen Kleid mit gesenkter Stimme. «Ihre Schwester Luise war die Unglückliche, die den Baron Dornfeld geheiratet hat, ehemals Oberjägermeister unter unserem seligen Landgrafen Ludwig VIII. Dornfeld stand Seiner Hoheit in dessen Jagdleidenschaft um nichts nach. Außerdem war er ein großer Charmeur, der die Frauen liebte – und zwar nicht nur seine eigene. Luise von Dornfeld soll an gebrochenem Herzen gestorben sein.»
«Sagen Sie, werte Gräfin Rommbart, hat der Baron seine Talente auch bei Ihnen ausprobiert?», fragte der ältere Herr mit einem lüsternen Schimmern in den Augen.
«Wo denken Sie hin, mein guter von Mencken!», rief die Gräfin entrüstet. «Zu seinen besten Zeiten war ich noch ein Kind.»
Von Mencken hob betont zweifelnd die Augenbrauen, worauf die Gräfin Rommbart gekränkt ihren Kopf zur Seite drehte.
«Wirklich eine traurige Geschichte», nahm die Gräfin Vorholzen inzwischen den Faden des Gesprächs wieder auf. «Es gab die wildesten Gerüchte, warum Baron Dornfeld plötzlich des Hofes verwiesen wurde. Die Verbannung hat die Familie tief getroffen, sie lebt seitdem in äußerst bescheidenen Verhältnissen. Der älteste Sohn des Barons hat Schloss Allenhofen übernommen und führt sich dort als großer Herr auf, aber er soll das Gut regelrecht heruntergewirtschaftet haben.»
«Ja, und der zweite Sohn, Alexander, ist ein Taugenichts, der sich jahrelang in der Weltgeschichte herumgetrieben hat», fügte die Gräfin Rommbart hinzu. «Er ist bekannt für seinen etwas – sagen wir – lockeren Lebensstil und verkehrt an den abenteuerlichsten Orten. Am liebsten umgibt er sich mit schlüpfrigen Weibsbildern und zwielichtigen Künstlern.»
«Wie skandalös!», rief von Mencken aus. «Gibt es nicht auch noch eine Tochter, die Theater spielt? Sie soll als Schauspielerin durchs Land ziehen. Wie konnte sie das ihren armen Eltern nur antun!»
Paulina blickte in stummem Entsetzen vom einen zum anderen. Besonders die Gräfin Rommbart schien geradezu versessen darauf zu sein, die anderen Gäste bei der Verkündung sensationeller Neuigkeiten noch zu übertrumpfen. Und mit dem, was sie als Nächstes sagte, gelang ihr das auch tatsächlich.
«Das ist noch nicht alles, was es zu erzählen gibt», berichtete sie und blickte dabei mit verschwörerischer Miene um sich. «Der Baron hat noch eine weitere Tochter. Er versteckt sie aber vor aller Welt, und das hat auch seinen Grund. Sie ist schwermütig und verlässt schon seit Jahren das Haus nicht mehr.»
«Eine Schwermütige?», fragte der schöne junge Herr. «Davon wusste ich gar nichts!»
«Nun, eine Geisteskranke dürfte kaum zu dem Typus Frau gehören, den Sie bevorzugen, Monsieur», meinte die Gräfin Rommbart mit falschem Lächeln.
«Kennen Sie die Geschichte nicht, mein Lieber?», fragte von Mencken. «Die erste Tochter des Barons wurde an einen Freiherrn aus dem Rheinischen verheiratet. Nach ein paar Jahren Ehe kehrte sie plötzlich allein nach Darmstadt in ihr Elternhaus zurück. Bis heute weiß niemand, was ihr geschehen ist.»
«Sie war todkrank, völlig verwahrlost und hatte den Verstand verloren», ergänzte die Gräfin Rommbart die Schilderung mit der Genugtuung derer, denen die Pointe vorbehalten ist.
Fassungslos lauschte Paulina den Worten dieser niederträchtigen Frau. Wie kam sie dazu, vor aller Ohren solche Ungeheuerlichkeiten zu verbreiten? Wer war die Gräfin Rommbart überhaupt? Plötzlich glaubte Paulina sich an den Namen erinnern zu können. Hatte die Köchin nicht erzählt, dass die Gräfin sich gerne mit jugendlichen Liebhabern vergnügte? Die ganze Stadt spreche darüber, hatte die Köchin gesagt, und Graf Rommbart sei schon mehrmals kurz davor gewesen, seine Gattin vom Hof zu entfernen und auf seinen Landsitz zu verbannen.
Das Herz klopfte Paulina bis zum Hals. Musste sie einer solch üblen Verleumdung nicht
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