Die Seidenbaronin (German Edition)
schon im nächsten Moment bitter bereuen würde. «Nein, Sie können nichts mehr für mich tun.»
Als Paulina das Palais Bahro verließ, war sie wie betäubt. In wenigen Minuten hatte sich ihre ganze Zukunft in Luft aufgelöst. Da stand sie nun alleine, mitten in einer fremden Stadt, war völlig mittellos und hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.
In ihrer Not flüchtete sie sich zu dem einzigen Ort, den sie in Hannover kannte: das Gasthaus, in dem sie die letzte Nacht verbracht hatte. Der Wirt erinnerte sich sofort an sie.
«Ihr Begleiter ist auch schon da!», rief er ihr im Vorbeigehen zu und deutete mit dem Kinn auf drei Gäste in einem ruhigen Winkel des Schankraumes.
Paulina hätte vor Freude und Erleichterung fast aufgeschrien. An einem Tisch in der Ecke saß Thomas zusammen mit zwei vornehm gekleideten Herren. Die drei waren in eine lebhafte Unterhaltung vertieft. Es dauerte nicht lange, bis Thomas sie entdeckte.
«Gnädiges Fräulein!» Erfreut eilte er auf sie zu. «So wie es aussieht, ist Ihre Angelegenheit nicht zu Ihrer Zufriedenheit verlaufen, habe ich recht?»
Paulina spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. «Das kann man wohl behaupten. Ich habe seit heute Morgen alles verloren, worin ich meine Hoffnungen gesetzt habe.»
«Da hilft nur eins!» Thomas drehte sich nach dem Wirt um. «Meister Herrmann, bringen Sie uns Branntwein!»
Wenige Augenblicke später saß Paulina zwischen Thomas und den beiden Herren und nahm einen kräftigen Schluck Branntwein aus dem Becher, den der Wirt vor sie hingestellt hatte. Das Getränk brannte zwar fürchterlich in der Kehle und vernebelte sofort ihre Sinne, aber gleichzeitig tat es ihr auch ausgesprochen gut. Sie hatte nur noch einen Wunsch: alles zu vergessen, was in den letzten Tagen geschehen war. Und vor allem wollte sie die Tatsache vergessen, dass Christian sie nicht mehr liebte.
«Mir scheint, dass ich die junge Dame schon einmal irgendwo gesehen habe», ertönte eine freundliche Stimme neben ihr.
Paulina hob den Kopf. Der väterliche Blick des Herrn zu ihrer Rechten ruhte auf ihr. Ja, sein Gesicht kam auch ihr bekannt vor. Aber woher?
«Sie ist die Hofdame der Prinzessin von Thurn und Taxis», prahlte Thomas.
«Nun, dann ist es recht unwahrscheinlich, dass wir uns schon einmal begegnet sind», stellte der Herr freundlich fest. «Als Kaufmann verkehre ich auf Messen und nicht an Fürstenhöfen. Wahrscheinlich habe ich das junge Fräulein einfach nur verwechselt. Ich lerne auf meinen Reisen so viele Menschen kennen …»
Paulina blieb stumm, und bald nahmen die drei Männer ihr unterbrochenes Gespräch wieder auf. Die junge Frau nippte gedankenverloren an ihrem Becher, der auf geheimnisvolle Weise nie leer wurde. Sie merkte kaum, wie allmählich alles um sie herum verschwamm und es ihr immer leichter um das wunde Herz wurde.
Als sie aufwachte, war es stockdunkel. Ihr Kopf dröhnte fürchterlich, und sie brauchte eine Weile, bis ihre Erinnerung zurückkehrte. Hatte sie nicht eben noch mit Thomas und diesen beiden Herren im Schankraum gesessen?
Erschrocken richtete sie sich auf. Eine Welle der Übelkeit überkam sie. Dieser Albtraum, der vor einigen Tagen begonnen hatte, wollte anscheinend nicht mehr aufhören!
Nach und nach erkannte Paulina schemenhafte Umrisse in ihrer Umgebung. Sie saß auf einem weichen Untergrund, also befand sie sich offenbar in einem Bett. Wieder fuhr ihr der Schreck durch die Glieder. Sie lag doch wohl nicht im Bett eines Mannes?
Ein kurzer Blick zur Seite brachte ihr die erleichternde Gewissheit, dass sie alleine war. Andererseits – wo war Thomas?
Trotz ihres schmerzenden Kopfes, der bei jeder Bewegung in tausend Stücke zu zerspringen drohte, kroch sie aus dem Bett. Als sie aufstehen wollte, trat sie vor einen harten Gegenstand. Ein Rumpeln durchdrang die nächtliche Stille. Paulina bückte sich und betastete mit zittrigen Fingern das Hindernis. Sie lachte nervös auf. Es war ihre Reisetasche.
Sie ergriff die Tasche und tapste durch das dunkle Zimmer, bis sie eine Tür fand. Draußen auf dem Gang war alles still. Ein paar kleine Nachtlampen sorgten für spärliche Beleuchtung. Endlich erkannte Paulina die Örtlichkeiten – sie befand sich noch immer im Gasthaus. Am Ende der Treppe sah sie ein schwaches Licht. Langsam ging sie die knarrenden Stufen hinunter.
Im Gastraum saßen im Schein einer einsamen Kerze nur drei Leute: Thomas und die beiden Herren vom Vorabend. Sie sahen Paulina überrascht
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