Die Seidenbaronin (German Edition)
sich nun mit der einzigen höfischen Untugend zufriedengeben, über die sie selbst nicht gerne redete – die Spielsucht.
«Um welche Summe handelt es sich?», fragte sie missmutig.
Paulina nannte einen Betrag, der ihr in jedem Fall ausreichend erschien, um die Fahrt nach Hannover und ein Quartier bezahlen zu können.
«Wann brauchen Sie das Geld?», wollte Agnes wissen.
«Sofort! Mein Gläubiger ist nicht gewillt, mir noch länger Aufschub zu gewähren.»
«Sofort? Das wird ja immer besser! Und wie gedenken Sie, mir den Betrag zurückzuzahlen? Immerhin ist es allgemein bekannt, dass Sie nicht gerade über große Reichtümer verfügen.»
Paulina biss sich wütend auf die Lippen. Wie oft hatte sie dieser kleinen Heuchlerin schon zur Seite gestanden, wenn sie eine Anstandsdame gebraucht oder sich wieder einmal mit einem Mitglied des Hofstaates überworfen hatte?
«Ich wollte mich eigentlich an meine Großtante wenden, um mir das Geld von ihr zu leihen. Leider konnte sie nicht zur Kaiserkrönung nach Frankfurt kommen. Ich werde der Gräfin schreiben und sie bitten, dass ihr Darmstädter Verwalter Ihnen den Betrag so bald wie möglich zukommen lässt.»
Agnes lächelte gönnerhaft. «Es muss schrecklich sein, wenn man auf die Mildtätigkeit anderer angewiesen ist.»
Sie ging zu einem kleinen Sekretär in der Ecke des Raumes, griff nach einem Bogen Papier und einer Feder und kritzelte ein paar Worte. Schwungvoll setzte sie ihre Unterschrift unter das Geschriebene, löschte die Tinte und reichte Paulina mit gnädiger Miene den Brief. «Melden Sie sich beim Haushofmeister meines Vaters, Mademoiselle – ich gebe Ihnen eine kleine Notiz für ihn mit.»
Es wurde Abend, bis Paulina sich endlich zum Frankfurter Stadtpalais des Grafen Birnreuth begeben konnte. Der Haushofmeister zeigte sich keineswegs erstaunt über ihr Erscheinen und schien an derlei Anliegen der Grafenkinder gewöhnt zu sein. Er zahlte Paulina die gewünschte Summe ohne weitere Umständlichkeiten aus.
Am Abend fand im Palais Thurn und Taxis ein Souper statt. Paulina saß wie auf heißen Kohlen. Als sie sich endlich zurückziehen konnte, blieben ihr nur wenige Stunden, um ihre Sachen zu packen und noch etwas zu schlafen. Sie hatte solch große Angst, nicht rechtzeitig aufzuwachen, dass sie fast kein Auge zutat. Um vier Uhr früh, noch bevor die Dienstboten aufstanden, brach sie auf.
Wie ein Dieb stahl sie sich durch den Hinterausgang aus dem Haus und ging auf verlassenen, regennassen Straßen zum Postamt.
Der Posthalter, noch ganz verschlafen, staunte nicht schlecht, als zu früher Stunde eine Edeldame vor ihm erschien und nach einem Platz in der Kutsche nach Kassel fragte.
«So einfach geht das nicht, gnädiges Fräulein!», rief er. «Da hätten Sie reservieren müssen. Es ist nichts mehr frei! Kommen Sie in drei Tagen wieder – dann fährt der nächste Postwagen nach Kassel.»
Paulina starrte ihn verärgert an. «Das hieße ja, dass ich völlig umsonst gekommen bin!»
Der Posthalter strich über seinen dicken Bauch. «Wie man es nimmt! Sie könnten heute schon die Einschreibgebühr entrichten, dann haben Sie Ihren Platz für die nächste Fahrt sicher.»
Paulina, müde und zermürbt vom Kummer der vergangenen Tage, spürte, wie heftiger Zorn in ihr aufstieg. Nun hatte sie so viele Hürden überwunden, und dann sollte sie unverrichteter Dinge wieder umkehren?
«Ich bin die Hofdame Ihrer Hoheit Prinzessin Therese von Thurn und Taxis!», sagte sie, mühsam um Fassung ringend. «Sie werden mir gefälligst einen Platz in dieser Kutsche gewähren!»
Der Posthalter pfiff durch die Zähne. «Beim heiligen Merkur! Sie versuchen es wahrlich mit allen Mitteln! Aber halten Sie mich nicht für dumm, Mademoiselle! Wenn Sie wirklich diejenige wären, für die Sie sich ausgeben, würden Sie wohl kaum mit der öffentlichen Post reisen.»
«Ich kann es bezeugen, dass die Dame zum Hofstaat der Prinzessin gehört», sagte hinter ihnen eine vertraute Stimme.
Paulina und der Posthalter drehten sich um. Der Neffe des Pförtners hatte, sein Säckel über die Schulter geworfen, die Station betreten.
«Es ist wahr, was sie erzählt, mein Herr», sagte der Junge. «Mein Onkel ist Pförtner im Palais Thurn und Taxis. Dort habe ich die Dame in Gesellschaft der Prinzessin gesehen.»
Der Vorsteher des Postamtes musterte Paulina misstrauisch. «Die Hofdame der Prinzessin? Und warum fährt sie dann mit der öffentlichen Post?»
Der Bursche zuckte mit den
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