Die Seidenbaronin (German Edition)
Schultern. «Vielleicht hat sie einen heimlichen Liebsten, von dem die Prinzessin nichts erfahren darf – wer weiß! Bei diesen adeligen Leuten wundert mich nichts.»
Als die Postkutsche Frankfurt in der Morgendämmerung verließ, saß Paulina, eingeklemmt zwischen dem jungen Burschen, einem dickbäuchigen Kaufmann und verschiedenen Gepäckstücken, auf einer unbequemen Bank in dem Wagen und sah die Stadt, in die sie mit so großen Erwartungen gekommen war, durch ein winziges Fenster am Horizont verschwinden.
Schon nach den ersten Meilen fragte sie sich, wie sie diese Fahrt überstehen sollte. Sie war völlig durchgerüttelt, der Rücken tat ihr weh, und der unangenehme Schweißgeruch des Kaufmannes bereitete ihr Übelkeit. An der ersten Poststation streckte sie ihre schmerzenden Glieder im Gras aus, ohne darauf zu achten, welche Belustigung sie damit unter ihren männlichen Mitreisenden hervorrief. Niemand wagte es jedoch, sich ihr zu nähern, da es sich offenbar herumgesprochen hatte, dass sie die Hofdame der Gattin des zukünftigen Generalpostmeisters war.
Nur der junge Bursche, der sich ihr als Thomas vorgestellt hatte, kam mit der Unbedarftheit der Jugend auf sie zu und reichte ihr eine Tasse Milch. «Trinken Sie, Mademoiselle! Wer weiß, ob es an den nächsten Stationen etwas gibt.»
Paulina war zu erschöpft, um ihn davonzujagen, und irgendwie tat ihr seine Fürsorge gut. So protestierte sie auch nicht, als er am Abend vor den Wirt der Herberge trat und frech verlangte, dieser möge dem jungen Fräulein eine eigene Stube zuweisen, anstatt sie mit allen anderen im Gastraum übernachten zu lassen.
Auch auf der Weiterreise am nächsten Tag war Thomas stets an ihrer Seite. Er teilte mit ihr brüderlich seine den Bauern abgeschwatzten Essensvorräte und lieh ihr seinen Mantel, als sie nach einem Radbruch stundenlang im Regen ausharren mussten.
Wie komfortabel waren dagegen die Fahrten gewesen, die sie mit Prinzessin George oder dem Hofstaat der Thurn und Taxis unternommen hatte!
Als die Postkutsche am Abend des zweiten Tages in Kassel eintraf, fühlte sich Paulina wie gerädert. Plötzlich fand sie die Vorstellung, dass sie nun ohne Thomas weiterfahren musste, unerträglich. Sie überschlug den Geldbetrag, der ihr noch zur Verfügung stand, und fragte den jungen Burschen kurzerhand, ob er sie gegen Bezahlung einer angemessenen Summe bis Hannover begleiten könne.
Thomas dachte einen Augenblick nach und stimmte dann zu.
«Nach Dresden kann ich von Hannover aus immer noch fahren», meinte er bereitwillig.
Ohne weitere Vorkommnisse erreichten sie zwei Tage später Hannover. Da es zu spät war, um noch im Palais Bahro vorzusprechen, kehrten sie in einem ordentlichen Gasthaus ein. Was für eine Wohltat, wieder in einem sauberen Bett schlafen zu können!
Am nächsten Morgen schnürte Thomas sein Säckel und machte sich auf den Weg zum Postamt, um sich nach einer Kutsche in Richtung Dresden zu erkundigen.
Paulina sah ihm nach, wie er fröhlich pfeifend die Straße hinuntermarschierte. Als er hinter einer Ecke verschwand, wäre sie ihm am liebsten hinterhergelaufen und hätte ihn zurückgeholt. Sie hatte plötzlich eine unbestimmte Ahnung, dass sich die Dinge für sie nicht zum Guten wenden würden.
Kapitel 14
Hannover, September 1790
Das Palais Bahro war ein prächtiges Stadthaus in der Nähe des Residenzschlosses. Nachdem Paulina dem Diener an der Tür ihr Anliegen vorgetragen hatte, führte der Mann sie durch eine mächtige Eingangshalle in einen kleinen Salon.
«Ich werde Sie dem Baron Nordberg melden», sagte er und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer.
Paulina begann, ungeduldig auf und ab zu gehen. Sie war bis aufs äußerste angespannt, als nach einer halben Ewigkeit endlich ein kleiner, untersetzter Mann mit versteinerter Miene den Salon betrat.
«Fräulein von Gralitz? Ich bin Baron Nordberg, der Verwalter Seiner Durchlaucht, des Grafen Bahro. Womit kann ich dienen?»
«Ihr Diener muss mich missverstanden haben, Herr Baron», erklärte Paulina gereizt. «Ich wollte nicht Sie, sondern den ältesten Sohn des Grafen Bahro sprechen.»
«Mademoiselle, das wird nicht möglich sein.»
Paulina fühlte sich langsam mit ihren Nerven am Ende.
«Warum um alles in der Welt wird das nicht möglich sein?»
«Nun, der junge Herr ist nicht mehr hier. Er ist vor kurzem ins achte Kavallerieregiment der hannoverschen Armee eingetreten.»
Christian war in ein Regiment eingetreten? Er hatte nie etwas
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