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Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rauen
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werde Sie zu Ihrem Vater begleiten», sagte die Greisin zu Paulina und nahm die Reisetasche in die Hand.
    Die junge Frau überquerte die Schwelle des Hauses und schritt, zaghaft um sich blickend, in das Halbdunkel einer Eingangshalle hinein. Sie hörte die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Mit kurzen, wackligen Schritten ging die krumme Gestalt voraus, und Paulina folgte ihr durch die leere Halle, von deren Wänden ihre Schritte widerhallten. Sie stiegen eine gewundene, knarrende Holztreppe hinauf. Das Schloss befand sich in einem erbärmlichen Zustand. Überall blätterte der Verputz ab, der Fußboden war an vielen Stellen schadhaft, Spinnweben hingen von den Decken.
    Die alte Frau blieb vor einer Tür im oberen Stockwerk stehen. Ihr ausgemergeltes Gesicht mit dem zahnlosen Mund hatte einen dämonischen Ausdruck angenommen.
    «Ich bin gespannt auf die Miene des Herrn Baron!»
    Sie klopfte und öffnete die Tür, ohne auf eine Antwort zu warten. Paulina betrat hinter ihr einen Raum, in dem sich nur ein Tisch mit zwei Stühlen, eine Anrichte und ein schmuckloses Bett mit zerlöcherten Vorhängen befanden. Auf dem Tisch standen ein Kerzenleuchter, ein Teller und ein Krug. Dahinter war ein Mann zu sehen, der auf einem der Stühle mehr lag als saß und den anderen als Ablage für seine ausgestreckten Beine benutzte. In der rechten Hand hielt er einen Becher.
    «Sie haben Besuch, Herr Baron», sagte die Alte. «Fräulein von Gralitz, Ihre Tochter!»
    Paulina ging wie magisch angezogen auf den sonderbaren Mann zu. Als sie vor dem Tisch stand, konnte sie sein Gesicht erkennen. Obwohl das dunkle Haar wirr und ungepflegt, die tiefblauen Augen glasig und die Wangen aufgedunsen waren, ließ sich seine Ähnlichkeit mit ihr nicht leugnen. Er war unübersehbar ihr Vater.
    Jobst von Gralitz starrte sie ein paar Augenblicke lang entgeistert an, dann warf er seinen Kopf zurück und brach in dröhnendes Gelächter aus.
    «Ich fasse es nicht!», rief er mit vom Alkohol gezeichneter Stimme. «Das Mädchen ist tatsächlich meine Tochter! Alles konnte mir diese Frau erzählen, nur eines habe ich ihr nie geglaubt – dass ihr Kind von mir ist! Und nun sehe ich es mit eigenen Augen! Dieses eine Mal hat sie mich nicht angelogen. Johanna, bring noch einen Krug und einen Becher für das gnädige Fräulein! Das muss gefeiert werden!»
    Der Baron stellte den Humpen auf den Tisch und streckte seine Hand nach Paulina aus. «Komm her, meine schöne Tochter, setz dich zu mir!» Umständlich zog er seine Beine vom Stuhl und versuchte, sich aufzurichten. Ein heftiger Husten befiel ihn und ließ ihn mühsam nach Luft ringen.
    «Nicht einen Tropfen werde ich Ihnen mehr vorsetzen!», rief die alte Magd, nachdem er sich endlich beruhigt hatte. «Ich glaube kaum, dass so viel Branntwein Ihrer Gesundheit zuträglich ist.»
    «Pah!» Jobst von Gralitz machte eine wegwischende Handbewegung. «Was kümmert mich meine Gesundheit!»
    «Und was soll Ihr Fräulein Tochter von Ihnen denken? Wo sie doch von so weit her gekommen ist.»
    Der Baron stieß erneut ein hässliches Lachen aus. «Wenn mein Fräulein Tochter auch nur ein klitzekleines Stück vom Wesen ihrer Mutter geerbt hat, dann brauchst du dir keine Sorgen um sie zu machen, Johanna. Ich weiß nicht, weshalb sie gekommen ist, aber der Grund war gewiss nicht ihre unstillbare Sehnsucht nach mir!»
    Die verächtlichen Worte ihres Vaters weckten Paulinas Widerspruch. «Sehnsucht hatte ich gewiss nicht nach Ihnen! So erbärmlich, wie Sie hier hausen, muss ich mich allerhöchstens für Sie schämen. Leider bin ich in eine Lage geraten, in der mir Erldyk als einzig mögliche Zuflucht blieb. Ich bitte Sie also nur, mir für ein paar Tage Unterkunft zu gewähren, bis ich meine Angelegenheiten geregelt habe.»
    «Angelegenheiten? Was für Angelegenheiten? Das hat bestimmt mit einem Mannsbild zu tun! Hast du dir am Ende ein Kind machen lassen und hoffst nun, du könntest hier still und heimlich …?»
    Jobst von Gralitz beugte sich vor, griff nach dem Krug auf dem Tisch und füllte sein Trinkgefäß. Seine Hände zitterten so sehr, dass er einen Großteil des Branntweins verschüttete. Er nahm den Becher, legte den Kopf zurück und kippte sich die Flüssigkeit in den Hals. Mit einem dumpfen Knall landete der Humpen wieder auf dem Tisch.
    «Was ist? Warum sagst du nichts?», fragte der Baron. «Hat es dir die Sprache verschlagen?»
    Paulina hatte ihn fassungslos beobachtet. «Wie hat meine Mutter es nur mit Ihnen

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