Die seidene Madonna - Roman
will. Ich möchte im Val de Loire ein Kontor eröffnen, das über den Vatikan direkt mit Rom verbunden sein soll. Der König von Frankreich, Louis XII., den ich seit der Zeit, als er noch Gegner der Regentin Anne de Beaujeu war und wir gemeinsam durch die Bretagne gestreift sind, sehr gut kenne, kann mir diesen Wunsch nicht abschlagen. Er wird bei dem Geschäft schon auch auf seine Kosten kommen. Und Julio soll das Kontor leiten. Ich bin zwar offiziell sein Herr, du sollst aber in Wirklichkeit dafür verantwortlich sein.«
»Warum denn ich?«
»Weil der Schatten von Jacquou hinter dir steht, dem ich alles gegeben hätte. Du weißt, er hätte mein Sohn sein müssen.«
»Oh!«, machte Alix und riss erschrocken die Augen auf.
»Léonores Sohn konnte nur von mir sein. Und ich will nicht sterben, ohne etwas hinterlassen zu haben. Das ist mein Herz und mein Fleisch, für mich ist er mein geistiger Abkömmling.«
Er machte ein paar Schritte auf die große goldverzierte Holztüre zu, kehrte aber schnell wieder zu Alix zurück.
»Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Das ist nur meine Angelegenheit. Jetzt wollen wir darüber sprechen, wo du dir das nötige Geld leihen kannst. Hör gut auf meine Ratschläge.«
»Nimm lieber Golddukaten als Florins«, sagte er und setzte sich wieder neben sie. »Die Dukaten sind zurzeit wertvoller. Ich empfehle dir zwei Geldverleiher. Der eine ist in Arras und heißt Simon d’Harcourt. Der andere hält sich mal in Brügge, mal in Florenz auf und heißt Alessandro Van de Veere. Sprich mit ihnen, und entscheide dich für das kleinere Übel. Bestimmt geben sie dir genug Geld, dass du deine Werkstätten wieder aufbauen und vielleicht sogar erweitern kannst.«
Wie sollte sie sich nur erkenntlich zeigen? Niemals würde Alix Jean de Villiers angemessen für die große Unterstützung danken können, die er ihr eben zugesagt hatte. Doch nun hatte sie nur noch einen Wunsch: Sie wollte Rom verlassen, ihr Glück in Flandern versuchen und triumphierend ins Val de Loire zurückkehren.
20
Vor einem pastellfarbenen, wolkenlosen Himmel hielt die kleine Kutsche von Alix, die Leo überaus geschickt lenkte, auf dem Hauptplatz von Amiens, direkt gegenüber der Kathedrale mit den schönen alten Steinskulpturen.
Gemütliche, stattliche Häuser mit Stufengiebeln und großen geschnitzten Holztüren umgaben den Platz wie eine uneinnehmbare Festung.
Mit einem eleganten Satz sprang Leo von seinem Kutschbock auf das Kopfsteinpflaster, schob sich eine widerspenstige Locke aus der Stirn und sah sich neugierig um. Er war zum ersten Mal hier und stellte gleich fest, dass es den Bürgern dieser Stadt offensichtlich an nichts fehlte.
Bei dem Gedanken an das warme Abendessen, das ihn erwartete, und das saubere Stroh, das er gern mit den Pferden teilen wollte, lächelte er zufrieden. Ach, wie lang war es her, dass er im Hafen von Genua unter freiem Himmel schlafen musste, mit knurrendem Magen, wenn wieder einmal seit Tagen kein Schiff eingelaufen war, das er abladen konnte.
Seit Alix ihn als Kutscher eingestellt hatte, konnte er sein Glück kaum fassen; schließlich liebte er Pferde und Reisen, und seine neue Herrin war so freundlich, dass er sich gerne für sie anstrengte.
Sein fein gefälteltes Hemd über der braunen Wollhose war ganz staubig von der Reise. Er klopfte es sauber und überzeugte sich, ob er anständig genug aussah, um mit Dame Alix das Gasthaus »Zum goldenen Fasan« zu betreten.
Der »Goldene Fasan« war eine gute Adresse. Berühmt für seine reichhaltigen Speisen, frisches Bier und erlesenen Wein, die weichen Federbetten und seine ruhige Lage, blieben hier viele Bürger und Kaufleute nach dem Abendessen über Nacht.
Leo wusste, dass ihm eine erholsame Nacht bevorstand und er mit vollem Magen, barfuß und den Kopf in frisches Stroh vergraben bei seinen beiden Pferden schlafen würde. Dann war er bereit, Arras noch vor dem nächsten Abend zu erreichen. Die Straße dorthin war bequem, wie man ihm versichert hatte, und wenn die Pferde auch gut ausgeruht waren, nahmen sie die Strecke im Galopp.
Gedankenverloren streichelte er die sanfte Cesarine, eine weiße Stute, die Alix eines Tages überraschend gebracht worden war, als sie gerade Rom verlassen wollte. Die Comtesse d’Angoulême hatte sie durch einen Reiter schicken lassen, der unterwegs zu den Truppen des Königs in der Nähe von Neapel war. Cesarine war am allerliebsten auf Reisen, das junge Pferd fühlte sich unterwegs und in Bewegung
Weitere Kostenlose Bücher