Die seidene Madonna - Roman
grauenhaften Pest zum Opfer gefallen, die vergangenes Jahr im Val de Loire so schrecklich gewütet hat.«
Sire Messkaert nickte traurig.
»Der ältere meiner beiden Söhne ist auch gestorben. Er war nur auf der Durchreise im Val de Loire, aber kaum hatte er die Stadt betreten, hat ihn die Pest auch schon dahingerafft.«
Langsam wischte er sich einen Schweißtropfen von der Stirn.
»Es hätte nicht viel gefehlt, und meine Jüngste und meine Frau hätten auch dran glauben müssen. Zum Glück sind sie aber nach Flandern zurückgekehrt, ehe die Pest ausbrach.«
Sein Begleiter Sire Wincken nickte mitfühlend, war aber in Wirklichkeit in Gedanken ganz woanders. Er dachte über die guten Ratschläge und Warnungen nach, die eine so junge Witwe sicher brauchte und für die sie ihm eigentlich dankbar sein müsste.
»Braucht Ihr vielleicht Hilfe?«, fragte er leutselig. »Ich stehe ganz zu Eurer Verfügung. Scheut Euch nicht, meine Hilfe in Anspruch zu nehmen.«
Alix wusste aus Erfahrung nur zu gut, dass Geschäftsleute kein Mitleid und keine Skrupel kannten, und man ihnen immer einen Schritt voraus sein musste, damit sie einen nicht wie ein billiges Flittchen behandelten. Man musste stets sein Bestes geben, sonst wurde man verachtet oder verspottet. Aus den gleichen Gründen war ihr auch bewusst, dass sie nie eine Unterstützung ablehnen durfte. Trotzdem war ihr die Frage unangenehm.
»Wenn nötig, werde ich daran denken, Maître Wincken. Falls ich dann das Glück haben sollte, dass Ihr in meiner Nähe seid.«
»Stets Euer ergebener Diener.«
Als ersten Gang hatte es Erbsensuppe mit Speck gegeben, nun ließen sie sich ein wunderbar duftendes gebratenes Hühnchen schmecken. Während sich Wincken dem köstlichen Geflügel widmete, fuhr er schmeichelnd fort:
»Die Stadtvorsteher von Lille und Arras wissen immer, wo ich zu finden bin.«
Er war mit seiner Hühnerkeule fertig und legte seine Hand dicht neben die von Alix auf den Tisch. Alix zog sie aber sofort zurück und griff nach dem Bierkrug, den ihr der Wirt gerade wieder gefüllt hatte.
Das starke, schäumende Bier brachte sie immer wieder auf andere Gedanken. In Brügge hatte sie es öfter mit Jacquou und Mathias getrunken und sich dabei an den bitteren Geschmack gewöhnt. Sie nahm ein paar kleine Schlucke, stellte den Krug zurück und sagte, um den lästigen Angeboten ihres Tischnachbarn ein Ende zu machen:
»Hattet Ihr schon einmal mit dem Geldverleiher Simon d’Harcourt zu tun?«
»Meint Ihr Simon d’Harcourt, den Bankier aus Arras?«
»Ja, jedenfalls wenn es in Flandern nicht zwei Männer dieses Namens gibt.«
Wincken lächelte leicht gequält und musste insgeheim zugeben, dass er sich wohl getäuscht hatte. Diese Frau war bestimmt keine dumme Gans!
»Er ist ein anständiger Verleiher«, versicherte er.
»Habt Ihr schon Geschäfte mit ihm gemacht?«
»Ich selbst nicht, aber jeder wird Euch sagen, dass er der billigste von allen flämischen Verleihern ist.«
Messkaert zwängte sein Doppelkinn wieder in den Pelzkragen seiner großen Robe zurück und trommelte mit kurz geschnittenen, gepflegten Fingernägeln auf dem Tisch.
»Handelt es sich um eine größere Summe, die Ihr braucht?«
Man sah ihm an, dass er mehr erfahren wollte, aber Sire Wincken fuhr dazwischen.
»Auch das dürfte kein Problem sein, wenn Ihr ein gutes Pfand anbieten könnt. Mehr verlangt er nicht.«
Alix wollte sich nicht in die Karten blicken lassen.
»Wie viel Zinsen nimmt er denn?«, fragte sie stattdessen Messkaert.
»Er handelt nicht mit Geld.«
»Auch nicht mit Florins?«
»Weder mit Golddukaten noch mit Florins.«
»Heißt das, er stellt nur Wechsel aus?«
Die beiden Männer nickten wie auf Kommando.
»Wenn das so ist, macht er aber sehr großen Gewinn.«
»Was habt Ihr dagegen einzuwenden? Die Geldverleiher haben ein strenges und wachsames Auge auf das Gold der anderen, um selbst zu verdienen. Das ist eben ihre Art, Geschäfte zu machen.«
Schließlich pflichtete Alix ihnen bei. Als sie mit dem Essen fertig war, stand sie vom Tisch auf und verabschiedete sich.
»Wünsche noch einen schönen Abend, Messires. Bestimmt treffen wir uns auf dem Jahrmarkt in Arras oder dem Kongress von Brügge wieder.«
Das Zimmermädchen des Hauses begleitete sie in den ersten Stock und führte sie in ihr kleines, aber behagliches Zimmer, das sie ausnahmsweise für sich allein hatte. Alix war froh, dass sie es nicht mit einer anderen alleinreisenden Frau teilen musste, wie das
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