Die seidene Madonna - Roman
Bruder André sprühte nur so vor Begeisterung. Heiliger Himmel! Warum nur hatte er mit dem Reisen so lange gewartet und erst jetzt fremde Länder und andere Menschen kennengelernt, die ganz anders waren als er und seine französischen Mitbürger?
Als sich Alix an der Pforte des Vatikans vorstellte, glaubte man ihr nicht, obwohl sie sauber und ordentlich, wenn auch bescheiden, angezogen war. Ihre Haare hatte sie zu einem Knoten frisiert und unter einer schwarzen Samthaube mit Bändern über den Ohren versteckt.
Man ließ sie wiederkommen, dann warten, man machte ihr leere Versprechungen, hielt sie hin, und nach vier Tagen war sie noch immer nicht weitergekommen.
Also musste sie wohl oder übel ihre Geschichte oder wenigstens einen Teil davon erzählen, damit man ihr endlich ein Gespräch mit dem Privatsekretär von Kardinal Jean de Villiers zugestand.
Mit einem Mal ging alles sehr schnell, und sie fand sich in einem bequemen Sessel mit einer geschnitzten hohen Lehne wieder, vor sich lauter Bilder von berühmten Meistern, kostbare
Truhen, dicke, weiche Teppiche, Fayencen und Silberzeug, Porzellan, illuminierte Werke und vergoldetes Getäfel.
Sie konnte sich gar nicht sattsehen an all den Kunstwerken. Noch nie zuvor, auch nicht am Hof von Amboise, hatte sie derart viel Pracht auf einem Fleck gesehen.
Schließlich öffnete sich die zweiflügelige Tür, und Jean streckte ihr schon von weitem die Arme entgegen.
»Alix, mein liebes Kind! Ich habe gehört, dass dir großes Unglück widerfahren ist, und es tut mir sehr leid«, sagte Kardinal de Villiers und nahm Alix liebevoll in die Arme.
»Das macht mich sehr traurig«, fuhr er fort. »Jacquous Tod bedeutet für mich einen bleibenden Schmerz. Dabei war er eben erst hier bei mir in Rom! Ich kann mich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass er vor mir gehen musste. Großer Gott! Wie grausam der Himmel manchmal sein kann, und dennoch muss sich der Mensch in sein Schicksal fügen.«
Alix stiegen die Tränen in die Augen.
»Als Ihr uns verheiratet habt, Monseigneur Jean, wer hätte da geahnt, dass ihm nur so wenig Zeit zum Leben bleiben würde? Sechs Jahre! Wir hatten nur sechs Jahre, mehr nicht.«
»Diese Jahre musst du als ein Geschenk des Himmels betrachten, Alix. Dein Leben geht weiter, du bist noch so jung.«
»Im Moment habe ich nur einen Gedanken, Monseigneur Jean, ich will zurück in meine Werkstätten und zu meiner Arbeit. Das ist das Einzige, was mir jetzt noch wichtig ist.«
Jean de Villiers lächelte ihr zu und drückte sie wieder an sich. Er erstickte sie fast, aber es war ein so schönes, tröstliches Gefühl. Fast schien es sogar, als weinte er. Dann schob er sie von sich und sah sie lange an. Alix sah, dass seine Augen trocken waren, aber merkwürdig schimmerten. Ja, sie wusste nur zu gut, dass man auch ohne Tränen schluchzen konnte.
»Du bist noch schöner geworden. Als ich dich verheiratet habe, warst du noch ein Kind - aber du hast ihn so geliebt.«
Er führte sie zu einem Sofa und setzte sich neben sie. Dann nahm er ihre Hand.
»Pass gut auf dich auf, Alix! Du bist Witwe, und die Männer werden dich bedrängen. Hübsche junge Frauen werden nicht in Ruhe gelassen, und die Leute halten nichts von Frauen, die sich wehren. Da kenne ich mich aus, schließlich lebe ich in einer richtigen Männerwelt.«
»Entsprechende Erfahrungen musste ich schon machen, Monseigneur Jean«, seufzte Alix.
»Dann musst du eben noch besser auf dich aufpassen. Sei vorsichtig und überlege dir gründlich, was du tun willst. Schau dir die Männer genau an, ehe du ihnen vertraust. Möchtest du denn wirklich nicht wieder heiraten?«
»Nein.«
»Ja ja, ich weiß, das sagst du jetzt, weil der Schmerz noch so frisch ist. Aber was willst du machen, wenn die Männer dich zu sehr bedrängen? Hüte dich, Alix. Jedes Mal, wenn du glaubst, die große Liebe gefunden zu haben, musst du dir die Frage stellen, ob es auch die wahre ist.«
»Ich will gar keine neue Liebe. Ich habe nur Jacquou geliebt und begehrt. Und ich musste so lange hinter ihm herlaufen. Es ist einfach ungerecht. Doch, Jean, es ist wirklich ungerecht.«
»Nein, Alix, so ist das Leben nun einmal. Jeder hat die Prüfungen zu bestehen, die Gott uns schickt. Wir müssen sie nur annehmen.«
Er strich ihr zärtlich über die Stirn und trocknete behutsam die Tränen, die ihr übers Gesicht liefen.
»Jetzt möchte ich dir aber helfen. Wenigstens will ich dich unterstützen, damit du diese Prüfung überstehst. Den
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