Die seidene Madonna - Roman
paar falsche Locken auf ihren Schultern. Ein schwarzes golddurchwirktes Haarnetz, das zum Saum ihres Kleides passte, war um ihr offenes Haar geschlungen, das ihr auf den Rücken fiel. Diese Frisur war besonders bei Mädchen und jungen Frauen sehr beliebt, während ältere Frauen ihr Haar gern unter einer Haube versteckten - aber Alix war ja noch so jung!
»Eure Hoheit, mein Mann und ich fühlen uns sehr geehrt, dass Ihr uns zu empfangen geruht.«
»Schon gut! Kommen wir zur Sache«, meinte der König fröhlich. »Meister Cassex ließ mich wissen, dass Ihr auch eine sehr begabte Weberin seid.«
»Ich gebe mir die allergrößte Mühe, gnädigster Herr.«
»Wie ich höre, hat meine Cousine Louise d’Angoulême eine große Arbeit zum Thema Einhorn bei Euch in Auftrag gegeben.«
»Ja, Euer Hochwohlgeboren. Ein historisches Ensemble, bei dem es vor allem um vornehme Damen und Einhörner auf einem Millefleurs-Hintergrund geht.«
»Sehr gut! Sehr gut«, sagte der Monarch und ging ein paar Schritte zu der großen geschnitzten Holztruhe, die in einer Ecke des Zimmers stand. »Die Einhörner aus dem Val de Loire sind sehr einnehmend, genau wie die aus Brüssel. Anmutig, schön und manchmal auch kriegerisch, aber immer klug genug, sich zähmen zu lassen. Sie geben ein außerordentlich gutes Spiegelbild unserer Landschaft. Aber lassen wir doch dieses eher weibliche Thema und wenden uns einem anderen zu«, sagte er dann zu Jacquou. »Ach, Meister Cassex, ich spüre, dass wir beide gemeinsam Großes verwirklichen werden! Würde es Euch gefallen, an einem großen historischen Thema zu arbeiten, einer griechischen Darstellung des Trojanischen Krieges?«
»Selbstverständlich, Sire!«, antwortete Jacquou, und seine Augen funkelten.
»Allerdings ein Trojanischer Krieg , der ganz anders interpretiert werden soll als der, den man für den Duc de Bourgogne angefertigt hat. Ich muss Euch nichts erzählen, bestimmt kennt Ihr dieses Kunstwerk. Aber ich hätte gerne weniger herrschaftlichen Prunk und dafür mehr Kriegspferde.«
Der junge Tapissier konnte es kaum erwarten, mehr darüber zu erfahren. Ein kriegerisches Thema würde für eine vollkommen neue Stimmung sorgen. Soldaten, Pferde, Piken und Hellebarden begeisterten ihn ohne Ende. Früher hatte er mit seinem Vater Pierre de Coëtivy sehr viel daran gearbeitet und dessen Ausführungen bis ins kleinste Detail studiert, sodass ihm diese Motive keinerlei Schwierigkeiten bereiten sollten. Endlich durfte er sich in die Darstellung dunkelblauer Himmel vertiefen, über die Blitze zuckten oder Unwetter tobten, das Ocker von nacktem Sandboden ohne Gras und ohne Blumen, das kalt glänzende Grau von Rüstungen, Helmen und Schwertern - davon musste es mehr als genug geben - und das purpurrote Blut, das der Färber aus Tours so hervorragend machte.
Oh ja, er würde es bei der Darstellung dieser Szenen zu unvergleichlicher Perfektion bringen! Die Zeichnungen für seine Kartons, die handwerkliche Umsetzung und die Entstehung der Motive sollten so phantasievoll wie irgend möglich werden. In Gedanken stellte er bereits die fünf, sechs oder vielleicht sogar noch mehr einzelnen Teppiche zusammen, die er auf seinen vier großen Hochwebstühlen ohne weiteres anfertigen konnte. Er brauchte lediglich noch einen zusätzlichen Arbeiter, den er auch sofort suchen wollte.
»Zu welchem Termin sollen wir Euch diese Bestellung ausliefern, Sire?«, fragte Alix, weil sie auf ein anderes Thema zu sprechen kommen wollte.
»Was schlagt Ihr mir vor?«
»Wir könnten in zwei bis drei Jahren fertig sein«, meinte Jacquou.
»Einverstanden.«
»Darf ich noch eine Bitte äußern, Sire?«, fragte Alix, der ihr Anliegen sehr am Herzen lag, »wir haben eine erste Arbeit für Seigneur de La Tournelle, dessen Domäne nicht weit entfernt von Blois liegt, mit einem ›T‹ für Tours unterzeichnet. Was haltet Ihr davon?«
»Seigneur de La Tournelle ist in der Tat einer meiner Vasallen. Ich finde es bedauerlich, dass er als Erster in den Genuss dieses Privilegs gekommen ist. Aber da hätte ich nun einmal meine Bestellung vor seiner in Auftrag geben müssen. Erweist mir diese Ehre also einfach auf Eurem nächsten Teppich für mich und fügt die Wappen von Blois hinzu.«
Alix jubelte innerlich. Damit hatte der König seine Zustimmung gegeben, und sie konnte auch ihren nächsten Teppich mit dem Anfangsbuchstaben für Tours signieren.
8
Ehe sich das österreichische Prinzenpaar auf den Heimweg machte, lud sie Louis
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