Die seidene Madonna - Roman
auf Schloss Chinon ein. Johanna tat ihr Missfallen darüber deutlich kund, musste sich aber dem Willen ihres Gatten fügen, der sich durch nichts von ihr umstimmen ließ.
Alix hegte kurz die Befürchtung, der neue Wunsch des Königs könnte Johanna und Philipp davon abhalten, Station in Tours zu machen. Deshalb beschloss sie in Absprache mit Jacquou, Louise nach Chinon zu begleiten, während ihr Mann sofort nach Hause zurückkehren wollte.
Philipp war nicht umsonst der Sohn des großen Maximilian von Österreich. Er liebte Feste und Grandezza und allen Prunk, und das prächtige Chinon versetzte ihn in Begeisterung.
Auch Alix war entzückt von der Schönheit dieses alten Schlosses. Das vornehme mittelalterliche Gebäude, das wie eine Festung auf einem spitzen Felsen thronte, der Turm von Coudray, die Donjons, die steinernen Giebel mit den vielen Türmchen, die Kapelle - all das fand sie bezaubernd.
Der steile Hang unter dem Schloss, an den sich die Häuser mit ihrem geschnitzten Fachwerk drückten, die vielen spitzen Dächer, die verwinkelten kleinen Gassen, durch die sie vielleicht eines Tages stolz auf ihrem Jason kommen würde, wenn sie ihre Wandteppiche auslieferte. Ja, sie war restlos begeistert! Gott, wie wichtig sie dann sein würde, wenn sie dem König die riesengroßen, kostbaren Tapisserien brachte!
Sie wusste gar nicht, wohin sie zuerst schauen sollte, so viel Schönes und Fremdes gab es zu bewundern. Und die großen Säle im Schloss kamen ihr irgendwie unwirklich vor. Noch nie zuvor hatte sie so etwas gesehen.
Zwei Reihen von Hellebardieren hatten den königlichen Hofstaat am Ausfalltor des Schlosses empfangen. Sogleich machte sich ein Heer von Dienern in gelbweißen Livrees mit der tatkräftigen Unterstützung einer Schar von Dienstmädchen daran, die Kisten mit den Gerätschaften und dem Geschirr, die Möbel, die Teppiche und die Tapisserien so schnell es ging auszupacken - alles, was man aus Blois mitgebracht hatte und was wieder nach Amboise zurückgebracht wurde, sobald der Hofstaat Chinon verließ.
Louise und Marguerite, die der König bereits auf Chinon beherbergt hatte, kannten dort eine Menge Leute: Die Dame aus der Kapelle, die so gut wie nie das Oratorium verließ, den Schuhflicker, der immer einen Schuh in der Hand hatte, der genäht werden musste oder der eine neue Sohle brauchte, den Apotheker, der ständig die Formel für einen schmerzstillenden Trank vor sich hinmurmelte, einen Fackelträger, der den Eingang beleuchten musste, den Vogelfänger für die Volieren mit seinem Lieblingssperber auf dem gepolsterten Unterarm, eine Bandwirkerin, die ihre neue Ware präsentieren wollte, ein Brotbäcker, ein Reitlehrer und ein Kerzenhändler, den die Diener wegschickten, weil er bereits am Vortag vorgesprochen hatte, und noch viele andere Leute.
Alix staunte über so viel Unruhe. Später wunderte sie sich dann über die Betten mit den Federkissen und den Decken aus Barchent und Zwillich aus Caen. An dem funkelnden Silbergeschirr und den vielen Weinkaraffen aus Kristall konnte sie sich gar nicht sattsehen.
Und das war noch längst nicht alles! Mit geübtem Blick hatte sie unter den Tapisserien aus Flandern, die in den Wagen des königlichen Paares mitreisten, einige sehr schöne Stücke ausgemacht. Das hatte Alix sofort sachkundig geprüft - sozusagen eine Berufskrankheit. Es gab Teppiche mit biblischen Geschichten, auf denen Szenen mit Josef, Moses, Jonathan, Nebukadnezar und Esther zu sehen waren, Bilder aus der griechischen und römischen Geschichte zeigten die Herkulesarbeiten und das Leben von Alexander dem Großen, Jason oder Cäsar. Mit alledem kannte sich Alix bestens aus. Das Einzige, was in dieser Sammlung noch fehlte, war die berühmte Geschichte des Trojanischen Krieges, die von ihrer eigenen Werkstatt in Bildern erzählt werden sollte.
Alix hatte auch verschiedene weniger wertvolle Wandteppiche entdeckt, die alle Webereien herstellten, indem sie Figuren von anderen Tapisserien übernahmen und wieder verwendeten.
Auch die türkischen Teppiche, die in den wichtigen Räumen des Schlosses den Boden bedeckten und auf der Oberseite einen halben Fuß dick aus Seidenfaden, auf der Rückseite flach gewebt waren, hatten die Aufmerksamkeit von Alix erregt. Und die gewaltigen Kamine in den großen Räumen mit ihren Einfassungen aus weißem Stein, in denen Tag und Nacht ein Feuer brannte, faszinierten sie genauso wie die hohen holzverkleideten Decken, unter denen sie sich irgendwie
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