Die Seidenstickerin
Kleine«, flüsterte Louise. »Wir lassen sie nicht im Stich. Ich bin überzeugt, dass die Königin von ihrer Geschichte gerührt sein wird und dass sie, wenn sie sich als Stickerin nicht allzu ungeschickt anstellt, in Amboise bleiben kann. Jetzt aber los! Gehen wir ins Haus, es wird kalt.«
Eine Weile später, als die beiden jungen Frauen und Jacquou ins Haus gegangen waren und in allen Zimmern Kaminfeuer knisterten, wurde Anselme, der im Stall schlief, von einem Geräusch geweckt.
»Seltsam«, murmelte er vor sich hin, »klingt wie Hufschlag. Dabei sind wir weit weg von der nächsten Straße. Vielleicht ist es ein Reisender, der sich verirrt hat.«
Er nahm eine Fackel und wagte sich außerhalb der hohen Hecken, die das Anwesen der Coëtivy umgaben. Schließlich merkte er, dass es sich bei dem Geräusch um ein galoppierendes Pferd handelte.
»So was aber auch«, brummte er, »den Gang kenn ich doch. Das sind die Hufe von Framboise.«
Jetzt rannte Anselme auf den Weg und lief dem Pferd entgegen, das man inzwischen laut und deutlich galoppieren hörte. Mit einer Fackel in der Hand bahnte er sich einen Weg durch die Finsternis. Dann bekam er eine ganze Ladung Straßenstaub mitten ins Gesicht, als die Zelterstute an ihm vorbeilief, ohne dass ihn die Reiterin – denn das war tatsächlich Isabelle – zunächst bemerkt hätte.
»Oh, Anselme, du bist es!«, rief sie erleichtert, als sie ihn erkannte. »Ich dachte schon, ich würde den Weg zum Haus der Coëtivy nie mehr finden.«
»Aber was habt Ihr denn hier um diese Zeit verloren, Dame Isabelle, mitten in der Nacht?«
»Ich wollte mit Euch weiterreisen. Ich muss an den Hof von Amboise, die Königin hat nach mir verlangt. Sie langweilt sich so, seit sie Witwe ist. Also habe ich ihr zugesagt und wollte hierher, ehe ihr morgen aufbrecht.«
»Wann seid Ihr denn im Burgund losgeritten?«, fragte nun der treue Anselme, der noch ganz entsetzt war von der Vorstellung, seine Herrin hätte irgendwelche gefährlichen Abenteuer erleben können, wenn sie so ganz allein durch die Nacht ritt. »Von Euch aus ist es ja nicht gerade der kürzeste Weg, über Nantes oder Angers nach Amboise zu reisen.«
Isabelle musste lachen.
»Ich weiß, aber ich wollte Jacquou unbedingt sehen.«
»Den könnt Ihr aber nicht vor morgen früh sehen. Ihr wisst sehr wohl, dass Ihr Dame Bertrande nichts verraten dürft. Was sollte sie davon halten, wenn sie sähe, wie Ihr diesen Jungen umarmt und küsst?«
Natürlich wusste Isabelle, dass Pierre de Coëtivy Dame Bertrande lieber nicht gestand, dass er Jacquous Vater war, weil er befürchtete, dass das Wohlwollen und die großzügige Art, die seine Gattin Jacquou gegenüber immer an den Tag gelegt hatte, in Feindseligkeit und Eifersucht umschlagen könnten. Dame Bertrande behandelte Jacquou, als wäre er ihr Sohn, ohne aber zu wissen, dass er tatsächlich der Sohn ihres Gatten war; und Jacquou, der bislang seinen Meister geachtet und bewundert hatte, hegte nun die gleichen Gefühle für seinen Vater.
Das einzig Neue an der Sache war, dass Jacquou jetzt eine große Schwester hatte, die er gelegentlich und ohne Wissen von Dame Bertrande treffen durfte.
»Ich schlafe einfach in einer der Kutschen«, beruhigte Isabelle Anselme. »Hast du schon vergessen, dass mir so etwas früher alle Naslang passiert ist?«
»Trotzdem«, grummelte der Kutscher, »das ist jetzt etwas ganz anderes.«
»Nichts ist anders, mein lieber Anselme. Nichts! Mein Mann lebt noch immer in Anjou und ich im Burgund, und wir verstehen uns auch noch immer nicht. Und solange seine Mutter am Leben ist, wird sich auch nichts daran ändern. Also bitte! Ich bin ein wenig erschöpft. Kümmere dich um Framboise. Ich lege mich jetzt in einem der Wagen zum Schlafen. Und zwar in dem dahinten!«, sagte sie und deutete mit dem Finger auf den letzten in der Reihe. »Weck mich morgen bei Sonnenaufgang. Ich will vor Euch aufbrechen, und Jacquou soll mich unterwegs einholen.«
Dann kletterte sie geschickt in die letzte Kutsche, nicht ohne festzustellen, dass diese etwas abseits von den anderen stand.
Man stelle sich ihre Überraschung vor, als sie in dem Wagen eine Gestalt unter einer dicken Decke auf dem Boden entdeckte. Behutsam näherte sie sich und kniff die Augen zusammen, um mehr erkennen zu können.
Alix wachte sofort auf.
»Wer seid Ihr?«, fragte sie erstaunt und rieb sich die Augen, als wüsste sie nicht, ob sie träumte oder wach war.
»Und du, wer bist du?«, gab Isabelle
Weitere Kostenlose Bücher