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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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hinkte.
    Außerdem versteckte der duftige Schleier über ihrem hübsch frisierten Haar zum Teil das unansehnliche Gesicht der jungen Braut; wenn die Gäste nicht allzu genau hinschauten, konnten sie ihre enorm große Nase und die hervorstehenden Augen kaum sehen, die an diesem Tag vor Glück strahlten.
    Das konnte man von dem jungen Herzog von Orléans beim besten Willen nicht behaupten. Als er dann endlich sein verhängnisvolles Gelübde aussprechen sollte, war seinen verächtlich zusammengepressten Lippen lediglich eine gemurmelte Einwilligung zu entlocken.
    Der Bischof von Orléans musste sich zwar mit dieser erzwungenen Zustimmung zufriedengeben, bedauerte aber insgeheim, dass ein so schöner junger Mann sich mit einem derart hässlichen Mädchen umgab, und forderte den jungen Herzog mit einem heuchlerischen Lächeln auf zu tun, was das Königreich von ihm verlangte.
    Jeanne hingegen schwebte an diesem Tag auf einer Wolke ungeahnten Glücks. Dabei hatte sich schon einige Monate zuvor, als sie ihren so überaus verführerischen Verlobten zum ersten Mal sah, in ihren Augen dieses Leuchten eingestellt, das nie wieder verschwinden sollte – obwohl er nur für einen knappen Gruß vor ihr gestanden hatte.
    Jeanne hatte weder Augen für ihre Mutter noch für ihre Schwester, ihr zärtlicher Blick galt ausschließlich dem jungen Schönling; er war groß gewachsen, prächtig gebaut, bewegte sich lässig und voller Anmut und hielt sich sehr aufrecht – nur auf seinem Gesicht spiegelte sich der Kummer über das traurige Los, das dieser verfluchte König von Frankreich für ihn bestimmt hatte.
    Irgendwann waren die Feierlichkeiten dann aber zu Ende, und im weiteren Verlauf der Geschichte zeigte sich ein ziemlich armseliges Lächeln auf den Lippen der jungen Ehefrau.
    In diesem Augenblick begann vermutlich der wahre Leidensweg der jungen Frau, die sich mit dem ganzen Ausmaß ihrer schrecklichen Einsamkeit abfinden musste, als man sie so unvorbereitet mit der grausamen Wahrheit konfrontiert hatte. Oder konnte sie etwa in einen Spiegel schauen, ohne dass der sie an das Elend ihres schwerfälligen und entstellten Körpers erinnerte? Konnte sie sich bei dem Gedanken an die hübschen Zofen ihrer Schwester aufhalten, die so viele Blicke auf sich zogen? Mit einem Mal kam es ihr so vor, als sähe sie in den Augen ihrer Kammerfrauen ein Mitleid, das sie nie zuvor bemerkt hatte.
    Das ganze Ausmaß ihres Unglücks erahnte Jeanne aber erst, als sie einsam und allein in ihrem Zimmer unter dem Federbett weinte, das ihre Zofen mit einem Bettwärmer versehen hatten.
    Jeanne hatte gelauscht und, weil sie gute Ohren hatte, sogar einige geflüsterte Beleidigungen und hinter vorgehaltener Hand gemurmelte verletzende Bemerkungen gehört.
    Weil sie aber klug genug war zu wissen, dass es ihr nichts nützen würde, wenn sie sich widersetzte, verlegte sich Jeanne lieber aufs Nachdenken und verließ sich auf ihren Verstand. Worte des Protests, zornige Gesten oder Aufbegehren hätten wahrscheinlich nur dazu geführt, dass man sie noch mehr isolierte – immerhin war das Leben in Blois weder unangenehm noch langweilig.
    Jeanne hatte begriffen, dass sie Louis nicht so bald wiedersehen würde, egal wo sie sich aufhielt; also fehlte ihrem seelischen Gleichgewicht nur eines, was aber wesentlich war – nämlich die Gegenwart eines Gatten, den sie mit einem Ungestüm zu lieben begonnen hatte, das sie nicht mehr loslassen würde.
    Aber Jeanne blieb scharfsinnig, mutig und energisch, während man sie für zerbrechlich, schwach und wehrlos hielt. Da sie sich nun einmal in ihre Pflichten als Königstochter ergeben hatte, verlangte sie von sich, auch die Pflichten einer Ehefrau von dem Rang zu akzeptieren, auf dem sie Frankreich hatte haben wollen – was bedeutete, dass sie in klösterlicher Abgeschiedenheit auf einem Schloss leben musste, das sie wohl nie wieder verlassen durfte.
    Zur gleichen Zeit hatte sich der junge Herzog, den man so niedergeschmettert erlebt hatte, längst wieder gefangen und bereits einige blonde Jungfern erobert. Vor Verzweiflung zu vergehen oder vor Wut zu rasen, kam ihm nicht in den Sinn, und wenn er nicht gerade hinter einem Frauenzimmer her war, sah man ihn durchs Val de Loire reiten – allein oder in Gesellschaft einiger Edelmänner.
    Louis d’Orléans war seit seiner Kindheit ein ausgezeichneter Reiter und mit allen Reittechniken bestens vertraut. Niemand jagte lieber als er mit dem ganzen Elan seiner sechzehn Jahre auf dem

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