Die Seidenstickerin
war. Als die kleine Jeanne dann nach und nach immer hässlicher wurde, konnte man nur abwarten.
Doch schon bald bestimmte die düstere Politik von Louis XI. den Alltag, und der Gatte, der eigentlich für seine ältere Tochter Anne bestimmt war, wurde der jüngeren gegeben – der hässlichen Jeanne. Eine beneidenswerte Partie, weil er der Sohn der exzentrischen Maria von Kleve war, der Frau von Herzog Charles von Orléans, die ebenso verführerisch wie sonderbar war.
Um Jeannes Gebrechen zu verbergen, brachte man sie in ein entfernt gelegenes Schloss, damit sie ihr zukünftiger Gatte nicht zufällig bei einem Spaziergang im Garten treffen konnte.
Damit verhielt sich der König von Frankreich reichlich erbärmlich und heuchlerisch und zeigte, dass er mehr von seinen Geschäften als von väterlichen Gefühlen beherrscht wurde. Die Hand einer Tochter von Frankreich wies man nicht ohne weiteres zurück.
Die Besuche, die der Vater seiner jüngeren Tochter abstattete, waren so selten, dass man sich fragen muss, ob ihm überhaupt bewusst war, wie schockierend diese geplante Verbindung war. Allen Blicken entzogen alterte das Mädchen mehr als dass es aufwuchs, während es innerhalb der Mauern ihres traurigen Schlosses auf ihren Hochzeitstag wartete.
Aber Jeanne war klug und geistreich, sie stickte und webte gut, las viel und konnte Leier, Harfe und Klavichord spielen. Während andere Prinzessinnen, die an viel mehr Luxus und Ansehen gewöhnt waren, als sie sich gönnte, vielleicht unter der Last ihres Gefängnislebens zusammengebrochen wären, wünschte sich Jeanne nur die Zuneigung der Männer und Frauen, mit denen sie zu tun hatte.
Jeanne war jegliche Böswilligkeit fremd, sie war ein empfindsames und gefügiges Mädchen und versuchte in friedlicher Harmonie mit den Menschen zu leben, deren Liebe sie gewonnen hatte und die in diesem abgeschlossenen und geschützten Bereich schließlich ihre physischen Unzulänglichkeiten vergessen hatten.
Doch die Jahre vergingen, und bei der misstrauischen Maria von Kleve regten sich immer mehr Bedenken. Warum nur beharrte der König auf dieser dummen Verbindung? Ihr Sohn war zwar zügellos, unanständig und ein Angeber, aber doch ein viel zu schöner junger Mann – und immerhin Erbprinz von Frankreich -, um so eine hässliche Kreatur zu heiraten.
Mehrfach versuchte Maria von Kleve, Louis XI. diese Ehe auszureden, aber nichts half – weder ihr Wehklagen noch ihr Geschrei noch ihre Tränen. Der König drohte sogar, ihr ihren gesamten Besitz, alle Titel und ihr ganzes Erbteil bis hin zu ihren letzten privaten Barschaften wegzunehmen, sollte ihr Sohn Jeanne de France nicht heiraten.
Maria von Kleve wurde fast blind vom vielen Weinen, wusste sich aber nicht mehr zu helfen; und als ihr Sohn schließlich seine Verlobte kennen lernen musste, blieb er bei ihrem Anblick wie angewurzelt stehen und öffnete und schloss nur ohne einen Ton den Mund wie ein Karpfen, der am Angelhaken hängt. Dann zog er sich wie ein armer schlafwandelnder Hampelmann langsam zurück, grüßte unbeholfen, öffnete die Tür und verschwand in dem Wald neben dem Schloss, wo er sich die ganze Nacht versteckt hielt. Dort schlief er an den Stamm einer großen Eiche gelehnt, überzeugt, dass er Opfer einer Halluzination sei und jeden Moment aus diesem schrecklichen Albtraum aufwachen müsse.
Weder das Gejammer der Mutter noch die Zornausbrüche des Sohnes nützten etwas. Sobald Jeanne im heiratsfähigen Alter war, wurde sie mit dem Herzog von Orléans vermählt.
Der Dispens aus Rom, den die königliche Verbindung der Halbgeschwister erforderte, ließ nicht lange auf sich warten. Louis XI. trieb die Dinge voran, hatte er doch viel zu große Angst, ein Sandkorn im Getriebe könnte seine Pläne zum Scheitern bringen.
Seit sechs Monaten bereits setzte er alle Hebel in Bewegung, betrieb die Angelegenheit mit einem Höllentempo, zwang seinen Hofstaat, ihm Recht zu geben, versicherte sich der uneingeschränkten Zustimmung seiner Gattin und seiner älteren Tochter – denen er allerdings auch keine andere Wahl ließ – und riet es keinem, Widerspruch zu wagen.
Für die Hochzeitsfeier sollte Jeanne ein festliches Gewand aus einem mit Perlen und Lilienblüten übersäten goldenen Tuch tragen. Das weite Cape, das sie ganz einhüllte und eine lange Schleppe hatte, verbarg geschickt ihre Gebrechen. Ihr Buckel war darunter nicht zu sehen, und man hatte einen ihrer Schuhe erhöht, damit sie nicht gar zu sehr
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