Die Seidenstickerin
d’Angoulême wenig zu schätzen gewusst hatte, sondern er lebte auch einfach gern an dem kleinen Hof von Cognac, der im Stil der italienischen Höfe gehalten wurde. Das war nicht weiter verwunderlich, weil der Ahnherr Visconti dort lange Zeit verbracht und viele Spuren hinterlassen hatte.
Der Tod ihres Sohnes Charles hatte Marguerite de Rohan natürlich tief getroffen; sie war aber viel zu vornehm und klug, als dass sie das Treiben von Louise hätte kritisieren wollen. Immerhin hatte ihr Sohn seine junge Gattin selbst reichlich ungeniert behandelt. Und wieso hätte sie das etwas leichtfertige, aber durchaus verständliche Verhalten ihrer Schwiegertochter schockieren sollen? Sie fand Saint-Gelais klug und zurückhaltend, hielt ihn für einen guten Berater, für sehr kultiviert und außerdem um die intellektuelle Erziehung der Kinder bemüht.
Marguerite de Rohan hatte nie Einfluss auf ihren Sohn ausgeübt, und den wollte sie auch nicht auf ihre Schwiegertochter haben – und erst recht nicht wollte sie ihr irgendetwas aufzwingen. Sie war der Überzeugung, der Mensch besäße entweder von Haus aus Intelligenz und Weisheit und wäre so in der Lage, ein sinnvolles und erfülltes Leben zu führen, oder aber es fehlte ihm an beidem, und dann wären alle, wie auch immer gearteten Ratschläge sinnlos.
Marguerite de Rohan war eindeutig zu alt und zu schwach, um sich noch selbst um die Inventarisierung des Familienbesitzes zu kümmern, was sie deshalb Louise überließ. Und es gab sehr wohl Grundbesitz und Ländereien, die sie selbst nach dem Tod ihres Gatten, Jean d’Angoulême, erworben hatte. Als überaus geschäftstüchtige Frau hatte sie damals die Verwaltung des Hauses d’Angoulême in die Hand genommen und dank ihres guten Gespürs den seit zwei Generationen reichlich heruntergekommenen Familienbesitz etwas aufgebessert.
So kam es, dass das Sägewerk von Salles, das inzwischen gut seine tausend Goldtaler wert war, und die Baronie von Montbron, ein kleines Gut, das aus Geldmangel vor sich hin vegetierte, den Kindern von Louise als rechtmäßiges Erbe zustanden. Neben den Städten Angoulême und Cognac besaß Marguerite de Rohan außerdem eine stattliche Sammlung alter Goldmünzen, kostbaren Karneolund Türkisschmuck, eine Reihe prächtiger Tapisserien und echtes Mobiliar in ausgezeichnetem Zustand als glanzvolle Erinnerung an vergangene Epochen. So erfuhr Louise also, dass sie viel mehr besaß, als sie je geahnt hätte.
Als dann die alte Frau in Gegenwart von Louise ihr Tagebuch öffnete, wusste die junge Frau, dass ihr irdischer Lebensweg zu Ende ging. Es war eine Handschrift mit fünfzehn unvorstellbar schönen Miniaturen, die sie nur sehr selten gezeigt hatte. Zögernd strich Louise mit dem Finger über die große goldene Schließe, warf einen bewundernden Blick auf die Miniaturen und las einige Stellen in Marguerites Handschrift laut vor.
Auf ihrer dicken, weichen Steppdecke ausgestreckt lag die alte Frau mit geschlossenen Augen und dämmerte müde, aber dennoch aufmerksam vor sich hin. Wem, wenn nicht Louise, hätte sie ihr Buch geben sollen? Schließlich führte diese ebenfalls ein Tagebuch, in dem sie jedes Ereignis und jeden wichtigen Augenblick im Leben ihrer Kinder festhielt.
Weil sie die Augen geschlossen hielt und stoßweise atmete, glaubte Louise, Marguerite wäre eingeschlafen. Als sie ihr einen Kuss auf die runzlige Stirn gedrückt hatte und das Zimmer verlassen wollte, wurde sie aber von der Grabesstimme der alten Dame aufgehalten.
»Ich möchte, dass du sorgsam umgehst mit der ganzen guten Wäsche, die ich dir hinterlasse, mein Kind.«
»Ja, natürlich, Mutter. Ich habe sie bereits Stück für Stück verzeichnet«, antwortete Louise freundlich.
»Auch die aus Holland?«
»Die aus Holland und alle andere auch.«
»Von den großen Handtüchern auf den Holzrollen solltet Ihr Euch auf keinen Fall trennen«, fuhr Marguerite mit schwacher Stimme fort. »Sie sind schon immer Beweis für den Luxus in den Küchen des Hauses Angoulême.«
Sie wollte sich aufrichten, sank aber sofort wieder in ihre Kissen.
»Was ist mit meinen verbrämten und gefütterten schwarzen Samtroben?«, fragte sie nun hastig, wohl aus Angst, ihr könnte nicht genug Zeit bleiben, um alles anzusprechen.
»Ich habe sie alle gut verstaut und werde sie, wie Ihr es wünscht, später einmal tragen, Mutter.«
Von diesen feinfühligen Worten getröstet schlief die Gräfin ein.
Und Louise wusste, dass sich ihr Leben von nun an
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