Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
Vom Netzwerk:
soll’s! Mir war es immer wichtiger, dass er mir genug Geld gab, damit ich Haus und Grund unterhalten und meine Leute bezahlen konnte.«
    Und dann rief sie Diener, Dienstmädchen und Zimmermädchen zu sich und trug ihnen auf, sich gut um ihren Schützling zu kümmern.
    Nachdem sich Alix dann mit Dame Bertrande beratschlagt hatte, musste sie einsehen, dass sie Jacquou erst wiedersehen konnte, wenn er seine Gesellenzeit hinter sich gebracht und den Meister gemacht hatte. Dann hatte sie es nämlich mit einem Mitglied der Gilde zu tun, und nicht mit einem einfachen Webergesellen.
    Alix musste sich also noch beinahe sechs Monate gedulden, in denen sich de Coëtivy nicht ein Mal blicken ließ. Aber die Zeit in Gesellschaft dieser angenehmen Frau zu verbringen, war für Alix ein großes Vergnügen; und wenn sie nicht so ungeduldig das Wiedersehen mit ihrem Jacquou herbeigesehnt hätte, was Dame Bertrande übrigens sehr gut verstand, wäre es vielleicht sogar die schönste Zeit ihres Lebens gewesen.
    Dame de Coëtivy teilte ihr also eines Tages mit, wann und wo sie ihren jungen Gatten treffen konnte, und Alix machte sich wieder auf den Weg. Es war ein Frühlingsmorgen mit einem wolkenlosen Himmel, der so strahlend blau leuchtete wie die Himmel, die sie schon auf den Wandbehängen in der Werkstatt von Tours nachgewebt hatte.

15
     
    Seit einiger Zeit beschäftigte sich Louise mit der Inventarisierung der Besitztümer ihres verstorbenen Mannes, der zwar nicht die Weisheit seines Vaters oder die Geschäftstüchtigkeit seiner Mutter, aber doch immerhin von seinem Onkel, dem Dichter Charles d’Orléans, die Leidenschaft für Literatur und Kunst geerbt hatte.
    Wenn die Bibliothek von Charles d’Angoulême auch nicht sehr wertvoll war, womit er ebenfalls die Tradition seines Onkels fortsetzte, hatte er doch großen Wert auf Vollständigkeit und Ausstattung gelegt. In dem mit karmesinrotem Serge ausgeschlagenen großen Raum waren mehr als hundertfünfzig Handschriften in einem riesigen Schrank mit zahlreichen Fächern untergebracht, den vier kunstvoll geschmiedete Schlösser zierten.
    Charles hatte das von seinem Vater ererbte Möbel stets in Ehren gehalten und gepflegt. Und die leidenschaftliche Leserin Louise wäre die Letzte gewesen, die mit dieser Tradition brechen wollte.
    Neben den ordentlich verwahrten Manuskripten gab es in dem großen Schrank noch ein mit rotem Samt ausgeschlagenes Fach, in dem einige Werke verschlossen lagen, die dem Vater von Charles gewidmet waren; eines davon verglich ihn mit einem Salamander, der sich von den ihn umgebenden Flammen nährte. Der Autor konnte damals natürlich nicht wissen, dass dieses Emblem eines Tages im Wappen eines großen französischen Königs verewigt werden sollte. Und was den ursprünglichen Besitzer dieses Werks angeht, so hätte es ihn vermutlich sehr erstaunt zu erfahren, dass es sich bei diesem König um seinen Enkel François handelte.
    Während die Bibliothek der Beaujeu für Louise schon eine Schatzkammer gewesen war, der sie immer neue Denkanstöße verdankte, war die ihres Mannes schier unerschöpflich. Sie studierte dort Dante, Aristoteles und Petrarca, und mit »Lanzelot«, den »Chroniques de France«, den »Metamorphosen« von Ovid, »Les Facéties« von Pogge, dem »Testament« von Jean de Meung und dem Gesamtwerk von Christine de Pizan die ersten gedruckten Bücher überhaupt.
    Außerdem entdeckte sie dort auch religiöse Titel, Abenteuerberichte und Gedichte, die Charles’ Onkel mit Begeisterung abgeschrieben hatte und die weniger aufwändig gebunden waren.
    Charles, der bei Louise immer ein offenes Ohr gefunden hatte, wenn es um Literatur ging, hatte gemeinsam mit Robinet Testard ihr Interesse für die Illuminierkunst geweckt. Testard war gerade dabei, seine hundert Miniaturen zu vollenden, wahre kleine Kunstwerke, die Boccaccios Dekameron illustrieren sollten, und deren Entstehung Louise seit den ersten Entwürfen mit verfolgt hatte.
    Und auch Jean de Saint-Gelais, der mittlerweile gemeinsam mit der kleinen Familie von Louise auf dem Schloss in Cognac lebte, war ein großer Liebhaber dieser Bibliothek.
    Louise hatte im Laufe der Zeit festgestellt, dass Jeans melancholische Sanftmut nur oberflächlich war – dahinter verbarg sich oftmals ein bissiger und ziemlich sarkastischer Humor. Trotzdem hatte er sich wegen ihres Anmuts und ihrer geistreichen Art auf Louise eingelassen. Aber er liebte sie nicht nur wegen ihrer lustvollen Sinnlichkeit, die Charles

Weitere Kostenlose Bücher