Die Seidenstickerin
mehr auf Cognac konzentrieren würde, dieses Schloss ganz in der Nähe der alten Burg von Lusignan und gleich gegenüber der antiken romanischen Kapelle hoch über der Charente, die hier zwischen Pappeln durch grünes Wiesenland floss.
Nach Angoulême zog es sie nicht so sehr. Vielleicht fühlte sie sich dort weniger zuhause, weshalb sich ihr Schicksal wohl in der kleinen Stadt Cognac erfüllen sollte. Von dem alten Donjon der befestigten Stadt, die auf einer Seite an den Wald von Braconne grenzte, bot sich ein sehr schöner Ausblick. Die wildreichen waldigen Ebenen um ihre Stadt waren der ganze Stolz der Bewohner von Angoulême. Aber Charles lebte nicht mehr, und Jean de Saint-Gelais zog, genau wie sie selbst, den Jagdausflügen Manuskripte und Bücher vor.
So erfuhr Louise also in Cognac die Neuigkeiten, die Frankreich betrafen. Hin und wieder brachte ein Bote auch einmal Nachrichten aus der Bretagne.
Marguerite de Rohan war ihrem Sohn bald gefolgt. Als vornehme Dame, die ihre Zeit überlebt hatte, war sie zu ihrem Gatten, Jean d’Angoulême, heimgekehrt, dessen Ahnherr Valentino Visconti die französischen Könige mit seinem heiß begehrten Mailänder Erbe in die verhängnisvollen und trügerischen Italienkriege gestürzt hatte.
Das Leben auf dem kleinen Schloss in Cognac verlief nun wieder in ruhigen, heiteren Bahnen. Obwohl sie die Anwesenheit der alten Gräfin zeitlebens nicht störte, hatte Louise jetzt auf einmal das Gefühl, sie hätte sie keinen Tag länger ertragen können. Die ganze Last der Verantwortung lag auf ihren Schultern, die zwar nicht schwach waren, darunter aber doch manchmal nachgaben.
Louise musste sich um alles kümmern und das Leben an dem kleinen Hof des Grafen d’Angoulême nach einfachen Regeln so munter und lebensfroh wie gewohnt am Laufen halten.
Antoinette hatte ihren Kummer einigermaßen überwunden. Nachdem es ihren wichtigsten Lebensinhalt nicht mehr gab, lebte sie in ständiger ungeduldiger Erwartung von Neuigkeiten über ihre Tochter Jehanne, die am Hof in Amboise Königin Anne de Bretagne zu Diensten stand.
Jeanne, deren nachlässiges und notorisch sorgloses Wesen sich in keiner Weise geändert hatte, widmete sich zurzeit ihrer Tochter Souveraine, die zu einer anmutigen jungen Frau heranwuchs und sich mit ihrem begeisterungsfähigen und anpassungsfähigen Charakter sehr von ihrer Mutter unterschied.
Nach Charles’ Tod war man auf dem Schloss von Cognac wieder zum Alltag zurückgekehrt. Die sanfte, kluge und verträumte Madeleine äußerte beharrlich ihren Wunsch, in ein Kloster einzutreten, aber Antoinette versuchte sie davon abzubringen, indem sie vorgab, der Graf d’Angoulême hätte dafür zu wenig Mittel hinterlassen. Louise war aber nicht bereit, das mangelnde Einfühlungsvermögen ihrer Zofe hinzunehmen.
»Ich verstehe nicht, was für Euch der Unterschied zwischen einer guten Aussteuer und einer soliden Summe für den Eintritt in einen Orden ist, Antoinette?«
»Aber Louise! Betrachten wir die Frage doch einmal unter diesem Aspekt. Immerhin besteht doch die Möglichkeit, dass ein potentieller Ehemann, wenn er nicht zu anspruchsvoll ist, nachgiebiger sein könnte als ein Kloster!«
»Großer Gott, Antoinette! Wollt Ihr denn, dass Eure Tochter die niedrigsten Arbeiten für einen Mann verrichten muss, der sich nur für die fehlende Aussteuer an ihr rächen und sie für ihre intellektuellen Ambitionen verspotten würde?«
»Ist es etwa so eine niedere Arbeit, Kinder in die Welt zu setzen?«, entgegnete Antoinette spitz.
»Da haben wir’s ja!«, rief Louise und warf ihrer Gefährtin einen missbilligenden Blick zu. »Ihr wollt über Madeleine genauso bestimmen wie schon über Jehanne!«
»Was ist mit Jehanne?«, gab Antoinette empört zurück. »Jehanne gefällt es sehr gut am Hof von Amboise!«
»Ja, mag sein, dass es ihr gefällt, und vielleicht hat sie Glück. Aber bei Madeleine liegt Ihr ganz falsch. Sie hält das Eheleben für hohl und arm an spirituellen Erfahrungen. Sie ist auf der Suche nach größeren Gefühlen, die sie nur in der Religion finden wird.«
»Ich habe ja nur Angst, dass sie sich Illusionen hingibt«, bemerkte Antoinette besorgt.
»Illusionen! Du liebe Güte, Antoinette! Habt Ihr die etwa nie gehabt?«
»Aber nein!«
»Aber ja, Antoinette. Illusionen gehören zu unserem Leben. Sie lauern uns auf, schnappen nach uns und verschlingen uns. Und genau diesen Chimären will sich Madeleine verweigern. Sie ist dazu geschaffen, zu lesen,
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