Die Seidenstickerin
aber Schluss, Dame Bertrande«, sagte Alix und wischte sich den Mund ab, nachdem sie den Teller mit den leeren Muschelschalen weggeschoben hatte. »Das ist vorbei, und wir brauchen ihn nicht mehr.«
»Ach, meine Schäfchen!«, rief jetzt Bertrande. »Wenn ich Euch irgendwie helfen kann, mache ich das mit dem größten Vergnügen. Leider besitzt aber Coëtivy mein gesamtes Vermögen. Als mich mein Vater mit ihm verheiratet hat, hat er ihm alles überschrieben – meine Mitgift, meine Güter, meine Leute. Ich habe nur so viel Geld, wie ich zum Unterhalt dieses Hauses brauche, das mir zum Glück immer noch gehört. Deshalb wollte ich auch nie von hier weg und in Tours, Paris oder sonst wo leben. Dieses Haus gehört mir, und hier will ich auch sterben.«
Fast ein wenig betrübt zuckte sie die Schultern. Es fiel ihr nicht schwer, gerecht zu sein und ihr Urteil abzuwägen. In ihrem sanften runden Gesicht spiegelte sich die abgeklärte Weisheit eines geistreichen und verständnisvollen Menschen.
»Na ja, außerdem war ich nun einmal nie eine große Schönheit, und Coëtivy fühlt sich aber immer zu den verführerischen jungen Geschöpfen hingezogen, von denen er sich inspirieren lässt. Ich vermute, dass diese Léonore – ganz zu schweigen von den anderen Frauen, an die er im Laufe der Jahre sein Herz verloren haben muss – diesen Charme besaß, den er brauchte, um als eigentlicher Künstler das Leben eines angesehenen Handwerksmeisters führen zu können.«
Sie fuhr sich mit ihrer rundlichen Hand über die Augen. Wollte sie sich verstohlen eine Träne wegwischen? Als sie ein Weilchen schwieg, vielleicht um sich an die wenigen glücklichen Tage mit ihrem Mann zu erinnern, ging Alix zu ihr, und Dame Bertrande nahm sie mit ihrer überbordenden Herzlichkeit in den Arm und drückte sie an sich.
»Und dabei habe ich ihn geliebt, diesen verdammten Kerl! Ach, Jesus! Und wie ich ihn geliebt habe, als mein Vater längst alles begriffen hatte. Dass seine einzige Tochter nicht schön und anmutig war, hatte ihn verlegen gemacht, und vor lauter Schuldgefühlen hatte er in alle finanziellen Forderungen von Coëtivy eingewilligt. Und Gott weiß, wie sehr Pierre seinen Willen durchsetzen konnte, weil er bereit war, mich zu heiraten.«
Sie gab Alix einen Kuss auf die Stirn und schob sie behutsam weg, um aufzustehen und mit wenigen schnellen Schritten zu einer gewaltigen Truhe zu gehen, die an der Wand gegenüber dem großen Kamin stand.
»Wie auch immer«, fuhr sie fort. »Er ist trotzdem stets ein guter Ehemann gewesen, ehrerbietig, gerecht, großzügig und unkompliziert, solange ich ihm seine Freiheiten ließ; und abgesehen von seiner Treulosigkeit und vor allem diesem großen Geheimnis, das er aus Jacquou gemacht hat, habe ich ihm eigentlich nichts vorzuwerfen.«
Dame Bertrande öffnete den schweren, reich verzierten Deckel der großen, im bretonischen Stil geschnitzten Holztruhe und holte eine kleine, passend geschnitzte Kiste heraus, die sie vorsichtig öffnete.
Sie musterte den Inhalt, überlegte ein Weilchen, nickte dann und lächelte zufrieden über die Wahl, die sie getroffen hatte. Behutsam nahm sie ein wunderschönes Armband mit blauen und grünen Edelsteinen heraus und reichte es Alix.
»Das ist mein Hochzeitsgeschenk für dich, meine Kleine. Dieses Armband hat meiner Mutter gehört, und mein Vater hat es mir an dem Tag gegeben, an dem sie gestorben ist. Es sind sehr schöne Smaragde und lupenreine kleine Saphire. Pass gut darauf auf, mein Kind, und wenn du kannst – ja, nur wenn du kannst -, behalte es dein Leben lang. Du solltest es nur verkaufen, wenn es gar nicht anders geht.«
Sie streifte Alix das Schmuckstück über die Hand, wo es auf ihrer seidenweichen weißen Haut funkelte. Alix konnte es ein ganzes Stück am Arm hochschieben, und als sie den Arm fallen ließ, rutschte es leise klirrend und glitzernd auf ihr zierliches Handgelenk.
Alix konnte es kaum fassen. Noch nie im Leben hatte sie etwas so Kostbares gesehen, geschweige denn besessen. Außer sich vor Freude stürzte sie sich auf Dame Bertrande und gab ihr auf jede Backe einen dicken, zärtlichen Kuss.
»Und dass du es nur weißt! Meister Coëtivy hat da gar nichts zu sagen. Dieser Schmuck gehört mir.«
»Aber, Dame Bertrande«, sagte jetzt Alix mit noch immer vor Rührung geröteten Wangen, »das Armband wird Euch bestimmt fehlen. Habt Ihr denn noch andere?«
»Nein. Meister Pierre hat mich nie mit solchen Geschenken verwöhnt. Aber was
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